CARL SENTANCE – Electric Eye

Label
Drakkar Entertainment
Erscheinungsdatum
19.11.2021
Tracklist
1. Judas
2. Alright
3. Electric Eye
4. Overload
5. Nervous Breakdown
6. Exile
7. Young Beggars
8. If This Is Heaven
9. Battlecry
10. California Queen
Line-Up
Vocals, Guitar: Carl Sentence
Guitar: Jay Banks, Dario Mollo
Drums: Bob Richards
Bass: Wayne Banks
Keyboards: Don Airey
Unsere Wertung
90
90

Zeitlos – das ist mal das allererste, was mir beim Durchhören des Albums auffiel. Deftig – ist das zweite, was mir in den Kopf schoss. Deshalb dann auch gleich die Vorwarnung: Wer nur auf den meist plüschigen AOR Sound steht, welcher bisher die Reviews auf unserer Seite dominiert hat, kann aufhören zu lesen. Electric Eye bringt euch das Feuerwerk in die Bude, das zum Jahreswechsel offiziell verboten war.

Während der erste Solostreich von Carl Sentance „Mind Doctor“ (2009) ganz klar im Riff lastigen Rock der Marke AC/DC und Krokus zu verorten ist, hat Electric Eye einen deutlich moderneren Unterton, ohne sich aber plump dem Zeitgeist anzubiedern.

‚Judas‘ startet, meiner obigen Vorwarnung entsprechend, mit einem mächtigen Gitarrenriff und zeigt, was in der klassischen 3er Besetzung (Gitarre, Bass, Drums) im Hardrock mit leichtem Metal-Einschlag möglich ist.

‚Alright‘, der zweite Song auf Electric Eye, ist einer der Gründe, warum wir uns nach internen Diskussionen doch dazu entschlossen haben, das Album hier vorzustellen. Neben einem amtlichen Refrain der Marke „einmal gehört, nie wieder vergessen“, sorgt Don Airey, der hauptberuflich die Keyboards bei niemand geringerem als Deep Purple bedient, mit seinen Keyboardteppichen für eine etwas ruhigere Grundstimmung.

Beide Songs stehen exemplarisch für das gesamte Album und werfen bei mir die Frage auf, warum dieser außergewöhnliche Shouter, mit enormem Stimmumfang, nicht längst mit größeren Acts der Szene in Verbindung gebracht werden konnte.

Der Titelsong ‚Electric Eye‘ schlägt in etwa in die gleiche Kerbe wie das eröffnende ‚Judas‘, überzeugt mit einem mächtig groovenden Bass, bevor ‚Overload‘ vollkommen entfesselnd, mit treibendem Groove aus Bass, Double-Bass Drumming und „Screaming Guitars“ losprescht. Dieser Song dürfte bei Live-Shows für amtliches Headbangen in den vorderen Reihen sorgen! Um es gleich vorwegzunehmen: ‚Battlecry‘ macht seinem Namen alle Ehre und steht ‚Overload‘ nicht viel nach.

Daneben glänzen Songs wie ‚Nervous Breakdown‘ – wieder so eine herausragende Melodieführung und dazu der lässige Groove von Drums und Bass, sowie die untermalenden Keyboards von Don Airey. Weiterhin die leicht mystisch angehauchten ‚Exile‘ (zieht zum Schluss nochmal ordentlich an) und ‚Young Beggars‘ oder ‚If This Is Heaven‘, die auch bei unserer Stammleserschaft durchaus auf offene Ohren stoßen dürften. Denn bei aller Härte, die dieses Album ohne Zweifel besitzt, sind es die kompakten Kompositionen mit den einprägenden Refrains mit Ohrwurmcharakter, die Electric Eye auszeichnen und interessant machen. Eine schnörkellose und druckvolle Produktion rundet dieses erste Highlight im Jahr 2022 eindrucksvoll ab. So kann´s gerne weitergehen!

Da Carl Sentance möglicherweise nicht jedem unserer Leser ein Begriff ist, möchte ich zum Abschluss noch eine kurze Rückblende anfügen. Diese muss kurz ausfallen, denn 40 Jahre als Sänger im Rockbusiness kann nicht jeder vorweisen! Ich verfolge den Mann musikalisch seit circa 1981, als er mit seiner Formation PERSIAN RISK die ersten 7“ und Samplerbeiträge in der damaligen NWOBHM veröffentlichte. Das 1986 erschienene Debut von PERSIAN RISK, Rise Up, ist für mich eines der Highlights der NWOBHM. Auch das einzige Album der Formation TREDEGAR für mich ein weiteres Highlight dieser Epoche – veredelte der Gute mit seinem herausragenden Organ. Danach arbeitete er mit Geezer Butler in dessen GEEZER BUTLER BAND zusammen, mit Paul Chapman veröffentlichte er Paul Chapman´s Ghost, mit den Schweizer Riff-Rockern KROKUS arbeitete er an deren Round 13 Album und wenn Don Airey, der seit vielen Jahren die leider verstorbene Keyboardkoryphäe Jon Lord bei DEEP PURPLE ersetzt, einen fähigen Shouter für seine Soloaktivitäten sucht, ist Carl Sentance seine erste Wahl. Seit 2015 ersetzt er Dan McCafferty bei NAZARETH und tourt mit der britischen Rockinstitution durch die ganze Welt.

Auch seine Formation PERSIAN RISK belebte er viele Jahre nach dem Debut wieder. Mit Once A King (2012) und Who Am I (2014) stehen da zwei weitere herausragende Alben zu Buche. 2019 wurden die beiden Alben als Doppel-CD über Escape Music erneut veröffentlicht. Neuerdings sind diese beiden Alben auch unter den Namen Carl Sentance zu haben. Fragwürdige Veröffentlichungspolitik – wie ich meine!