Teil 2: Malmö Melodic, 24.7. – 27.7.2025 – Samstag

Samstag, 26.7.25

 

ANIMALYZE (Rainer)

Für die erste Band am Samstag hatten leider nur DIE Gäste Zutritt, welche sich vorab das VIP-Ticket gesichert haben. Ich persönlich würde es besser finden, wenn alle Fans des Festivals auch alle Bands sehen können, aber so war das ja auch schon letztes Jahr – gut finden muss man das aber nicht. Die Dänen von ANIMALYZE sprangen ziemlich kurzfristig für CONSTANCIA ein, die aus persönlichen Gründen absagen mussten. Und die Jungs (das kann man so wörtlich nehmen) nutzten – so viel gleich vorab – ihre Chance. Mit ungeheurer Energie und Spielfreude schleuderten sie zu Beginn den Titelsong ihres gerade erschienenen Debüts in die Menge. Und ja, der Mix aus MÖTLEY CRÜE, KISS und DEF LEPPARD kam im bereits ganz gut gefüllten Plan B wirklich gut an.

Die ganz großen Hits haben ANIMALYZE noch nicht geschrieben, aber darum ging es bei dem Auftritt auch nicht primär. Die Dänen hatten einfach nur ganz großen Spaß und genau das transportieren Songs wie ‚Trigger Of Love‘, ‚Dr. Chemical‘ oder die LEPPARD/CRÜE-Hommage ‚Wild For Free‘. Für knapp 2 Minuten wurde die Gute-Laune-Veranstaltung dann doch nachdenklich, als ‚Mama I’m Coming Home‘ angestimmt wurde. Der Einstieg in den vermutlich Besten der 3 Tage hätte kaum besser sein können.

 

ARKADO (Ulle)

Meiner Recherche nach gibt es das in Helsingborg beheimatete Sextett ARKADO bereits seit 1983 – Respekt, meine Herren: die schwedische Luft scheint gut zu konservieren! Dass es bis 2020 dauern sollte, bis auch ARKADO ihr erstes Album veröffentlichen konnten, ist schade, denn das Ergebnis kann sich auch live durchaus hören lassen und hätte deutlich mehr Output verdient als die bisher lediglich erschienenen zwei Alben: die Band bietet wirklich schöne und recht eingängige Songs mit – trotz zweier Gitarristen – starkem Keyboardanteil. Blickfang ist eindeutig Sänger Philip Lindstrand, der ordentlich Hummeln im Hintern hatte und den ganzen Gig über hypernervös sein Mikrofon befingerte oder an seinem Shirt zupfte, worunter die Bühnenpräsenz doch ein wenig litt. Junge, wir sind´s doch nur: ein paar hundert fachkundige Musikfetischisten aus aller Welt, die nichts weiter als Höchstleistungen erwarten!

Dem guten Gesamteindruck tat dies aber keinen Abbruch: das sehr relaxte und immer freundliche Malmöer Publikum wird zum einen viel Verständnis für Lampenfieber gehabt haben und sich und sich zum anderen sehr gerne in die AOR-Blütezeit der frühen Achtziger zurückbeamen lassen, als Bands wie JOURNEY und SURVIVOR mit rockigem Schmusekurs enorme kommerzielle Erfolge einfahren konnten. ARKADO-Songs wie die tolle Ballade `Never Say Never´ (Titelsong des Debutalbums), `Open Sea´ (Titelsong des 2. und bisher letzten Albums) oder `Rising High´ eignen sich durchaus zu dieser kleinen Zeitreise in die Vergangenheit, die ein nicht unerheblicher Teil der in Ehren ergrauten Zuschauer noch selbst miterlebt haben dürfte. Klasse!

 

VIOLET (Rainer)

Im Anschluss an den wirklich hervorragenden Auftritt von ARKADO kam mit VIOLET DIE deutsche AOR-Hoffnung auf die Bühne. Das aktuelle Album Mysteria wurde ja jetzt nicht von allen Melodicrock-Fans abgefeiert, was aber meiner Meinung nach nur an zwei Dingen liegen kann: Die stilistische Ausrichtung (80er-Jahre Pop-Rock mit der Betonung auf „Pop“) mag nicht jedermanns Sache sein oder man hat das Album einfach nicht intensiv genug gehört. Bei mir zündete die Scheibe auch erst nach dem 5./6. Durchlauf – aber dafür dann umso heftiger.

Wie sich VIOLET live schlagen, interessierte dann aber augenscheinlich doch ziemlich viele – die Location war richtig gut gefüllt, als Jamie Beckham samt Band mit ‚Mysteria‘ (dem Song) erschien. Ich hatte die Band erst einmal im Vorprogramm von CHEZ KANE gesehen, aber die Entwicklung in nur 1 bis 2 Jahren ist schon wirklich krass. Stand damals noch eine keinesfalls schlechte, aber doch etwas blasse Truppe auf der Bühne, so hat sich das nunmehr gewaltig geändert. Die Frontfrau zog mit ihrer 80er-Jahre Löwenmähne sofort alle Blicke auf sich und auf der (natürlich meist in violett beleuchtenden) Bühne war ordentlich Dampf im Kessel. Sowohl Bassist Eric Hart, als auch Manuel Heller waren ständig in Bewegung…links, rechts, beide links, beide rechts – da war man im Fotograben schon ordentlich am Rumschwenken. Und wenn die Keyboards mal Pause hatten – was bei VIOLET recht selten ist, dann sprintete auch Filip Kuzanski an den Bühnenrand, um den Fans noch mehr Reaktionen zu entlocken.

Kollege Ulle hat es ja schon angesprochen, dass bei einigen Bands doch diverse Keyboardpassagen oder Backgroundchöre vom Band kamen. VIOLET hätten allen Grund, sich dabei zu beteiligen, weil sie auf Mysteria (dem Album) wirklich massive Backgrounds auffahren, aber – ohne es zu wissen – war da glaube ich ziemlich viel (wenn nicht sogar alles) live, weil man die Songs auch etwas reduzierter, aber genauso effektiv wie auf Konserve auf die Bühne brachte.

Im Nachgang waren VIOLET auf dem Festivalgelände DAS Thema, weil ihnen ein solch grandioser Gig wohl kaum jemand zugetraut hätte. Und ich bin mir sicher, dass die Band damit den ein- oder anderen Supporter gewonnen haben.

 

CARE OF NIGHT (Rainer)

Die Schweden von CARE OF NIGHT waren DIE Überraschung beim letztjährigen Malmö Melodic und für mich die beste Band des Festivals überhaupt. Leider war der Auftritt im Jahr 2024 den VIP-Gästen vorbehalten, so dass CARE OF NIGHT nun die Gelegenheit hatten, die Songs ihrer drei Alben vor mehr Zuschauern abzufeuern.

Drei Alben hört sich jetzt nicht besonders viel an, aber wenn man sich ansieht, welch grandiose Songs diese Band bislang veröffentlicht haben, so können sie auf einen Fundus zurückgreifen, von dem andere Bands nur träumen können. Und natürlich folgte nun Hit auf Hit: Vom Eröffnungssong ‚Contact‘ bis zum abschließenden ‚Heart Belongs‘ (düp-düp-düp) war das Ganze einfach eine einzige Machtdemonstration, welche später nur noch von einer Band aus Finnland erreicht/übertroffen werden sollte.

Die Band agiert dabei unglaublich sympathisch und Sänger Calle Schönberg wirkt auf den ersten Blick etwas unscheinbar, aber mal losgelassen, ist dieser ständig in Bewegung und er singt die Stücke einfach grandios: Egal, ob ‚Street Runner‘, ‚Hit‘, ‚Those Words‘ (meiner Meinung nach einer der besten AOR-Songs überhaupt) oder ‚Stay With Me‘ – hier stimmt einfach alles und eigentlich hätte es die Band verdient, dass diese Songperlen von den Fans knieend vor der Bühne gehört werden.

Bei den vermutlich bekanntesten Songs ‚Your Perfection‘ und ‚Cassandra‘ gibt es dann kein Halten mehr und jeder Ton wird lautstark mitgegröhlt und ich bin mal wieder völlig geplättet, wie mich die Songs und der Auftritt von CARE OF NIGHT berühren. Schön wars, Jungs!

 

DEGREED (Ulle)

Bei der Fülle an wirklich allesamt guten schwedischen Bands aus dem weiten Bereich Melodic Rock ist es manchmal nicht so ganz einfach, Unterschiede auszumachen, die den bandeigenen Sound aus der breiten Masse herausstechen lassen. Die persönliche Präferenz entscheidet sich manchmal nur an Nuancen, und wenn eine Band dann mal aus dem persönlichen Radar fällt, ist dies keinesfalls ein Zeichen für mangelnde Qualität, sondern eher für ein breites Angebot, aus dem sich jeder seine Rosinen herauspicken muss. DEGREED waren bisher eher eine von vielen Haferflocken in meinem AOR-Müsli, denn deren Sound ist mir persönlich zu modern und breitwandig, um sich etwas nachhaltiger in meine Gehörgänge festzubeißen.

Dabei hat die Band, die seit ihrer Gründung im Jahre 2005 bereits sage und schreibe neun Alben veröffentlicht hat, alles richtig gemacht und von der Powerballade (`This Is Love´, `Tomorrow´) bis über eher sperrige Heavyrocker (`The Scam´) und eingängige AOR-Nummern (`A Little Bit´ oder mein persönlicher Favorit `Shakedown´ – dazu gibt es übrigens ein sehr cooles Video) ein sehr abwechslungsreiches Programm für den Gig in Malmö zusammengestellt und somit alles gezeigt, was sich im breiten Bandfundus finden lässt. Auch beherrschen die aus Kopparberg stammenden Schweden natürlich ihre Instrumente, sodass bei aller Konzentration auch Raum für ein paar Mätzchen auf der Bühne blieb und DEGREED letztendlich auch für mich eine Bereicherung dieses schönen Festivals waren. Lediglich am Ende trieben mich die niederen Instinkte wieder zur Fressmeile. Somit bin ich selbst schuld, dass ich das zur Huldigung der leider jüngst verstorbenen Legende gezockte `Bark At The Moon´ verpasst habe, wie ich Rainers stets zuverlässig im Fotograben abgelichteter Setlist entnehmen konnte.

 

BROTHER FIRETRIBE (Ulle)

Die Finnen BROTHER FIRETRIBE hatten bei mir bisher kein größeres Interesse wecken können, weshalb ich ihrem Auftritt auch völlig unbefangen entgegengesehen habe. In meinem Freundeskreis gibt es sowohl äußerst leidenschaftliche Fans wie auch leicht kritische Stimmen, die sich vor allem am optischen Wandel ihres Sängers Pekka Heino oder seinem finnischen Akzent aufreiben. Somit war ich zwar ohne hohe Erwartungen, aber dennoch neugierig, warum diese Band samt ihrem Frontmann anscheinend eher polarisiert, denn das wollte ja so gar nicht zu meiner eigenen bisherigen Gleichgültigkeit passen. Deswegen habe ich mich zum einzigen Mal auf diesem Festival in das Gedränge gestürzt und bis kurz vor die Bühnenmitte vorgekämpft, um mir eine volle Breitseite der Finnen verpassen zu lassen und dadurch zu testen, ob sich auch mir die Faszination der die-hard-Fans für ihre Lieblingsband irgendwie erschließt. Und Himmel nochmal: ich sollte sie bekommen.

Warum sich gerade am Sänger Pekka ab und an die Geister scheiden, wurde sofort offensichtlich, denn der Mann schert sich nicht mehr die Bohne um die jugendlich-theatralische Rock`n`Roll-Attitüde der früheren Bandgeschichte, sondern erscheint inzwischen stets im schnieken Anzug und sorgfältig frisierter Thomas Anders-Gedächtnisfönwelle, weshalb er rein optisch auch als Versicherungsvertreter oder Schlagersänger durchgehen könnte, denn als Frontmann einer Rockband. Aber hey: gerade dadurch ist er doch der wahre Rebell unter den vielen Jeans´n´Shirt-tragenden Menschenskindern vor und auf der Bühne. Passend dazu wirkte er völlig in sich ruhend und gelassen und spazierte stets smoothy über die Bühne des Plan B. Diese völlig eigenständige und besondere Gentleman-Aura zeigte Wirkung: das Publikum sang jeden Song begeistert mit, fraß ihm willig aus der Hand und hätte wohl auch jeden Versicherungsvertrag blind unterschrieben.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die gnadenlos tighte Rhythm-Section: selten habe ich ein derart perfektes, präzises und wuchtiges Drum und Bass-Fundament erlebt, das den eingängigen Songs exakt das gibt, was sie brauchen. Nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr: oftmals wird der Sound durch zu viel Geballer und Gewummer zugedröhnt, aber Drummer Hannes Pirilä und Basser Jason Flinck beherrschen die Kunst des Weglassens und bringen die Songs gerade dadurch besonders zum Leuchten. Ich jedenfalls werde meine großen Kenntnislücken im bisherigen BROTHER FIRETRIBE-Output schleunigst ausbessern, denn in Malmö haben sie mich gecatcht. Es war mir so nah vor der Bühne beinahe unangenehm, dass alles um mich herum textsicher und lauthals mitsingen konnte, während ich lediglich zu einem schweigenden Staunen imstande war. Großes Kino!

 

 

TREAT (Rainer)

Noch etwas mitgenommen vom alles überragenden Auftritt der 5 Finnen, haben es TREAT bei mir erstmal nicht einfach, weil mir der Tag schon etwas in den Knochen steckt und ich die Band echt schon sehr oft live gesehen habe. Aber, TREAT sind „on fire“, das macht die Eröffnungsnummer ‚Skies Of Mongolia‘ unmissverständlich klar. Sänger Robert Ernlund, der sich optisch immer mehr Ottfried Preußlers „Kleiner Hexe“ ähnelt, singt auch richtig gut. Der Frontmann muss sich ja oftmals den Vorwurf gefallen lassen, dass viel vom Gesang aus der Konserve kommt – den Anschein hatte ich in Malmö nicht.

Und obwohl die Herren, die mich von der Bühne angrinsen (ok, grinsen tut eigentlich nur Robert Ernlund, der Rest ist ziemlich ernst bei der Sache) natürlich nicht jünger werden – besser habe ich TREAT selten erlebt. Ob das daran liegt, weil sie sich in Ihrem Heimatland am wohlsten fühlen, oder weil die 700 Fans alle Songs euphorisch abfeiern? Eigentlich egal, weil das, was die zahlreich verbliebenen Zuschauer zu sehen und hören bekommen ist einfach nur extrem gut.

TREAT haben in dem doch sehr eng gestrickten AOR-/Melodicrockkorsett mittlerweile ihren ganz eigenen Stil gefunden. Die Basis ist immer das unglaublich effektive, für diese Art Musik zuweilen ungewöhnlich rifflastige Gitarrenspiel von Anders Wikström. Und somit kommen auch neuere Songs wie ‚Riptide‘, Freudian Slip‘ oder ‚Home Of The Brave‘ beim Publikum und bei mir sehr gut an. Aber was wären die Schweden ohne ihre Klassiker aus den 80ern? Scratch And Bite wird mit gleich 4 Songs gewürdigt und natürlich dürfen Göttergaben wie ‚Conspiracy‘ und ‚World Of Promises‘ nicht fehlen. Mein Lieblingssong der Schweden – ‚Party All Over‘ – hätte es wegen mir auch noch in die Setlist schaffen dürfen, aber man kann ja nicht alles haben. Einen etwas negativen Beigeschmack haben die Ansagen des Frontmanns hinterlassen, weil diese zum Großteil auf schwedisch formuliert wurden – bei einem Festival mit 29 unterschiedlichen Nationen im Publikum hätte man durchaus darauf Rücksicht nehmen können.

Somit geht ein Tag zu Ende, der nicht nur der mit Abstand stärkste des gesamten Festivals war. Nein, das war ein Tag, der auch in Zukunft schwerlich zu toppen sein wird.