H.E.A.T – Force Majeure

Label
earMusic
Erscheinungsdatum
05.08.2022
Tracklist
1. Back To The Rhythm
2. Nationwide
3. Tainted Blood
4. Hollywood
5. Harder To Breathe
6. Not For Sale
7. One Of Us
8. Hold Your Fire
9. Paramount
10. Demon Eyes
11. Wings Of An Aeroplane
Line-Up
Kenny Leckremo – Lead Vocals
Dave Dalone – Guitars
Jona Tee – Keyboards, Organ
Jimmy Jay – Bass
Don Crash – Drums
Unsere Wertung
93
93

Die wahren Beweggründe, warum Sänger Erik Grönwall nach 4 erfolgreichen Alben H.E.A.T wieder verlassen hat, werden vermutlich nie ans Licht kommen. War es seine (zum Glück überstandene) Leukämieerkrankung oder kokettierte er damals schon mit SKID ROW (deren Sänger ja mittlerweile Erik Grönwall heißt)? Böses Blut scheint es jedenfalls nicht gegeben zu haben, denn so brachte H.E.A.T-Keyboarder Jona Tee im Anschluss an die Trennung zusammen mit Grönwall ein Album der metal-lastigen NEW HORIZON heraus. Außerdem verlief die – als Video dokumentierte – Mikrofonübergabe zum ursprünglichen Sänger Kenny Leckremo augenscheinlich sehr harmonisch.

In einem gewissen Dilemma muss die Band aber trotzdem gesteckt haben, als sie mit dem Songwriting für das neue Album Force Majeure begannen: Sollte man mit einer Rolle rückwärts die hardrockigeren Kompositionen der Grönwall-Era wieder ad-acta legen und zum lupenreinen AOR der beiden ersten Alben (mit Kenny Leckremo) zurückkehren? Andererseits haben sich H.E.A.T gerade in der letzten Zeit in Europa mit ihren energetischen Liveshows und den kernigen und härteren Hardrocksongs eine treue Fangemeinde aufbauen können. Und dann natürlich die Frage aller Fragen: Kann sich Kenny heutzutage überhaupt stimmlich mit Grönwall messen und dem unglaublichen Energielevel der Band folgen?

Um allen Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen, nahm Kenny unmittelbar nach Bekanntgabe des Sängerpostens das überragende ‚Rise‘ vom letzten Album H.E.A.T II nochmal neu auf. Hier hatte der Sänger die Gelegenheit, der Welt zu beweisen, dass die softe und wärmere Stimmfarbe Leckremos zu den Songs neueren Datums genauso passt, wie das eher metallastige Organ von Erik. Während die Fangemeinde immer noch eifrig diskutierte, welche Version von ‚Rise‘ denn nun die Bessere sei, schickte die Band mit ‚Nationwide‘ bereits die erste Single als Video über Youtube ins Rennen. Und spätestens jetzt war klar, dass die Band den Blick ganz klar nach vorne gerichtet hat. ‚Nationwide‘ ist eine einzige Gitarren-/Keyboardorgie, welche von Kennys eingängiger Stimme aber nie den Ring des melodischen Hardrocks verlässt.

Im Refrain explodiert der Song zu einer unglaublichen Hymne, welche in zukünftigen Liveshows immer ein Highlight sein wird. Die zweite Auskopplung ‚Back To The Rhythm‘ glänzt eher mit einem stampfenden Rhythmus und einem fast bedrohlichen Refrain, der durch die kernige Stimmfarbe Kennys erst richtig zur Geltung kommt – wie ‚Nationwide‘ ein unglaublicher Ohrwurm. Mit ‚Hollywood‘ folgte dann Video Nummer drei und hier werden nun die ganz großen Glücksgefühle ans Großhirn geschickt: Ein melodischer Hardrock-Song, der ohne Umwege sofort ins Ohr geht und keine Anstalten macht, dieses wieder zu verlassen. Das Ganze veredelt mit einer Hookline wie zur Hochzeit des Hardrocks Ende der 80er.

Drei Vorab-Songs, drei Volltreffer. Kann das nun vorliegende komplette Album dieses unfassbare Niveau halten? Das stampfende ‚Tainted Blood‘ erinnert von der Melodieführung an selige DYNAZTY-Zeiten, als die Band noch knackigen Hardrock und keinen austauschbaren Power Metal spielte. Bei ‚Harder To Breath‘ wird dann ein Gang zurückgeschaltet. Aber nur was das Tempo und den Gitarrenanteil betrifft – mitnichten bei der Qualität. Der Song tönt etwas moderner mit einem unverschämt eingängigen Refrain und satten Keyboardeinsätzen. Apropos Keyboards: Macht Euch die Mühe und hört mal genau hin, was bei den Songs im Hintergrund

passiert. Jona Tee webt mit seinen Tasten nicht nur atmosphärische Teppiche, sondern brilliert hier mit kleinen Details, welche die Songs bei jedem Hören noch interessanter machen. Beim folgenden ‚Not For Sale‘ werden sogar early EUROPE Einflüsse freigelegt und Kenny hat tatsächlich dieses unwiderstehliche Timbre von Joey Tempest verinnerlicht – ganz ganz groß. Das haben sich H.E.A.T bestimmt auch gedacht und gleich eine Ballade nachgeschoben, die nicht nur an die schwedischen Chartstürmer erinnert, sondern ganz klischeefrei den Spagat zwischen 80er-Balladenromantik und neuzeitlichen Pomp schafft. ‚Hold Your Fire‘ ist dann wieder klassischer Hardrockstoff zwischen WARRANT und DEF LEPPARD ohne den typischen H.E.A.T-Drive vermissen zu lassen – das könnte ein zukünftiger Live-Kracher im Set der Stockholmer werden. Mit ‚Paramount‘ hatte ich anfangs ein wenig zu kämpfen, weil der Song und besonders der Refrain arg heroisch konstruiert wurde. Mittlerweile finde ich den Song aber richtig stark. Tja, und dann kommt ‚Demon Eyes’. Niemals hätte ich jemals einen solchen Banger von H.E.A.T erwartet – man wandelt hier schon beinahe auf (melodischen) Speed Metal-Pfaden, die im Moment eher Bands wie RIOT beackern. Kollege Frank meint: Der beste RIOT-Song der DiMeo-Phase. Interessanterweise spannt dann der abschließende grandiose Melodicrocker ‚Wings Of An Aeroplane‘ den Bogen zu den ersten beiden H.E.A.T-Scheiben und setzt den Schlusspunkt unter ein-Album, das man so nicht unbedingt erwarten konnte.

Nach diesen furiosen 11 Songs muss man festhalten, dass die Band alles richtig gemacht hat und stilistisch den logischen Nachfolger zu HEAT II aufgenommen hat. Kenny Leckremo singt unglaublich flexibel und kann sowohl bei den melodischen Songs, als auch bei den neuen -für H.E.A.T ziemlich harten Nummern – restlos überzeugen. Ich muss zugeben, dass ich sowohl ein Fan von Kenny Leckremo, also auch Erik Grönwall bin. Ich mag Leckremos warmen Sound in der Stimme, schätze aber auch die pure Kraft und Energie von Grönwalls Organ – war aber auch immer der Meinung, dass Erik Grönwall der technisch bessere Sänger ist. Mit dieser These bin ich mir nach diesem Album und den ersten überragenden Liveauftritten jedoch nicht mehr so sicher und Fans der Grönwall-Phase werden überrascht sein, wie genial sein Nachfolger diese Aufgabe meistert.

Wo kann man das Album nun im Gesamtkontext des Schaffens der Band sehen? Das Debüt, welches noch mit lupenreinen AOR/Melodicrock-Songs gespickt war, wird immer einen besonderen Platz bei mir einnehmen und wahrscheinlich unerreichbar bleiben. Ich sehe das Album qualitativ knapp über dem Niveau des Vorgängers, was außerordentlich ist und die Band hoffentlich und verdientermaßen auch vom Bekanntheitsgrad auf ein neues Level hievt.

 

  1. 95

    Ich gebe es zu, ich habe mich bisher immer eindeutig
    im Team Grönwall gesehen.
    Die ersten beiden Alben mit Leckremo fand ich gut,
    mehr aber auch nicht.
    Scheiben der Marke “Address the Nation” oder “II”
    hingegen halte ich nach wie vor mit für das Beste,
    was in dem Genre in den letzten Jahrzehnten erschienen
    ist.

    Umso überraschender dann die ersten Eindrücke von
    “Force Majeure”.
    Leckremo singt kraftvoller und überzeugender als
    jemals zuvor, auch das Songmaterial überzeugt durch
    die Bank und vermag sogar das Qualitätslevel des
    grandiosen Vorgängers “II” zu übertreffen.
    Songs wie “Not for Sale” oder “Hollywood” sind so
    dermassen mitreissend und werden mit solch einer
    Überzeugung dargeboten, da bleibt einem fast die
    Spucke weg.

    Ich für meinen Teil bin restlos begeistert und
    widerspreche hier ausnahmsweise mal dem Cheffe:
    93% sind zu wenig, 95 % sollten es schon sein 😉

  2. 98

    Es überrascht mich immer wieder, wieviel Kontroverse diese Band mit ihren Alben auslöst. Ich habe absolut keinen Schimmer, warum. Im melodischen Hardrock der letzten 20 Jahre gibt es aus meiner Sicht nix besseres. Und egal, ob noch eher AOR-lastig wie auf den ersten beiden Alben oder jetzt sogar mit leichter Tendenz zum Metal. Da stimmt aus meiner Sicht alles. Wenn II die 100 war (und das beste Melodic Hardrock Album der letzten 20 Jahre), dann ist das hier leicht drunter, aber wirklich nur leicht.

      1. Also wenn man sieht, dass Eure Nr. 3 (Foreigner 4) nur 85 % bekommen hat, hast Du natürlich recht…
        Scherz beiseite, auch mit 93 % ist es natürlich fair bewertet. Was mich nervt sind z.B. die Trolls bei rockreport.be, die dann mit 1- oder 2-Sterne-Bewertungen um die Ecke kommen.

    1. Ob 93% oder 98% – die Scheibe ist ein Brett und wirklich jeder Song hat das Zeug eine Party zum kochen zu bringen (selbst ausprobiert). Und live kann der Band (zumindest in dem Genre) momentan niemand das Wasser reichen.