Interview mit Leigh Matty (ROMEO’S DAUGHTER)

So ein relativ kleines, aber feines Festival wie das „Malmö Melodic“ hat eine fast schon familiäre Atmosphäre und bietet die Möglichkeit, die Mitglieder der teilnehmenden Bands auch mal persönlich zu treffen. Nahezu jede Band war nach ihrer Show am Merchandise – Stand und hat bereitwillig Autogramme gegeben und Fotos mit ihren Fans gemacht. AOR-Bible – Chefredakteur Rainer nebst Gattin Anita, Melodic Rock Palace – Ikone Chris und ich waren zusammen nach Malmö gereist und hatten das Glück, im gleichen Hotel untergebracht zu sein wie die meisten Musiker, und so kam es, dass die komplette Besetzung von ROMEO´S DAUGHTER am Folgetag ihres Auftritts bestens gelaunt am benachbarten Frühstückstisch saß. Nun galt es also, die Gelegenheit zu nutzen und ein paar Infos von den Briten zu ergattern. Da Mut-antrinken auch mit Kaffee bestens funktioniert, habe ich schließlich Frontlady Leigh Matty mit einem ehrlich gemeinten Kompliment für den wirklich tollen Auftritt ihrer Band angesprochen. Sie erwies sich als ausgesprochen freundlich und gesprächsbereit und hat mir nicht nur eine CD ihres neuen Albums Slipstream besorgt und signiert, sondern auch bereitwillig ein Interview zugesichert, das wir ein paar Tage später mittels Chat geführt haben und das Euch natürlich nicht vorenthalten werden soll. Here we go:

 

Hallo Leigh, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Eurem großartigen neuen Album Slipstream. Ich habe in meiner Rezension geschrieben, dass es sehr direkt, erdig und entspannt klingt und dass der Fokus der Instrumente eindeutig auf der Gitarre von Craig Joiner liegt, der einen fantastischen Job gemacht hat. Wie seid ihr an das Album herangegangen? Immerhin sind seit eurem letzten Album Spin fast acht Jahre vergangen.

Danke Ulle – ich freue mich sehr, dass es dir gefällt! Wir sind an das Album herangegangen, wie wir es bei jedem anderen getan haben: mit Vorsicht! Wir wollen sicherstellen, dass jedes Album, das wir veröffentlichen, das Beste ist, was wir zu leisten imstande sind, und dass wir unserem guten Ruf, Qualität statt Quantität zu veröffentlichen, treu bleiben. Bei der Veröffentlichung unserer Alben kommt es immer zu großen Verzögerungen, da wir alle sehr mit unserem Leben und unseren Jobs beschäftigt sind. Obwohl wir es lieben, ROMEO´S DAUGHTER – Alben aufzunehmen und zu veröffentlichen, ist es für uns nicht immer einfach, die Zeit zu finden, um zusammenzukommen. Wenn wir das tun, wollen wir deshalb, dass etwas Bedeutsames dabei herauskommt und dass wir das bestmögliche Album produzieren.

In der Ballade `Rumor´ hört man Deine Stimme fast ohne Effekte wie Hall und Echo und Du flüstert fast, was perfekt zum Songtitel passt. Das gefällt mir sehr gut, weil man die wahre Qualität eines Sängers bzw. einer Sängerin erst erkennt, wenn die Stimme leise ist.

Ich habe es immer geliebt, ruhig und mit persönlicher Note zu singen, daher ist es für mich immer eine Freude, wenn wir Songs wie `Rumour´ zu unseren Alben hinzufügen können. Ich bin eine Frau mit viel Lebenserfahrung und ich denke, meine Stimme zeigt das in unseren Balladen, daher freue ich mich, dass sie Dir gefällt.

In den Songtexten auf Slipstream geht es hauptsächlich um Alltags- und Beziehungsprobleme. Eine nicht ganz ernst gemeinte Frage dazu: Wollt ihr nicht der Retter der Menschheit sein?

Hach, wenn wir nur mit unserer Musik die Menschheit retten könnten! Leider können wir nur hoffen, dass sich unsere Fans mit den Alltagsthemen identifizieren, über die wir schreiben und singen, und dass sie sie in irgendeiner Weise berühren.

Die Bedingungen im Musikgeschäft sind selbst für bekannte Bands extrem schwierig geworden. Es werden nur noch wenige CDs gekauft, und nach der Corona-Pandemie werden Konzerte aufgrund geringer Vorverkäufe zunehmend abgesagt. Auch Slipstream war zunächst nur digital über eure Homepage verfügbar. Wie hat eine Band wie ROMEO´S DAUGHTER mit der aktuellen Situation zu kämpfen?

Wir haben letztes Jahr kurz vor der Veröffentlichung von Slipstream die Entscheidung getroffen, die CD und den Digital Stream nur über unseren eigenen Webshop zu verkaufen, und es war die beste Entscheidung, die wir je getroffen haben, da wir dieses Album häufiger verkauft haben als alle anderen, die wir in den letzten 20 Jahren veröffentlicht haben. Wir wussten, dass es ein Glücksspiel war, nicht auf einem Streaming-Dienst zu veröffentlichen, aber wir hätten unser Album eben auch deutlich weniger verkauft. Zu viele Bands verschenken einfach die Rechte an ihren Alben und verdienen mit ihren Veröffentlichungen kein Geld, was eine Farce ist. Die einzige Möglichkeit, als voll funktionsfähige Band weiterzumachen, besteht darin, autark zu sein und genug Geld zu verdienen, um alle Kosten für die Produktion eines Albums, die Tourkosten usw. zu decken. Mir ist klar, dass dieser Weg für neue Bands nicht möglich ist, aber wir haben zum Glück eine große Fangemeinde, die uns dabei hilft, unseren Weg erfolgreich umsetzen.

Kehren wir zu Ihren Anfängen zurück: Euer Debütalbum sorgte für großes Aufsehen und wurde unter anderem von Produzentenikone Robert John „Mutt“ Lange und AOR-Legende John Parr produziert. Was bedeutete es damals für Euch und wie betrachtest du das Album im Nachhinein?

Rückblickend war die Zusammenarbeit mit Mutt und John fantastisch, aber es hätte uns noch viel mehr bedeutet, wenn wir mit ihnen auch an unserem zweiten oder dritten Album gearbeitet hätten. Wir waren damals aber noch so jung und naiv und wussten nicht wirklich, welche Chancen wir durch diese Zusammenarbeit hatten! Wir haben jedoch so viel von beiden gelernt und dieses Wissen in alle nachfolgenden Alben einfließen lassen, die wir veröffentlicht haben. Das erste Album klingt meiner Meinung nach immer noch sehr gut und hat die Zeit überdauert, was für ein Album aus den späten 80ern ungewöhnlich ist.

Teile der Presse bezeichneten Euch damals als die europäische Antwort auf HEART, die damals gerade ihren zweiten Frühling erlebten und enorm erfolgreich waren. Wie geht man als junge Band, die gerade ihre eigene Identität aufbaut, mit solchen Vergleichen um?

Das ist interessant, dass du das sagst, da ich das noch nie gehört habe! Ich glaube nicht, dass wir HEART besonders ähnlich sind, außer dass wir auch eine Sängerin mit schwarzen Haaren haben. Allerdings haben HEART ja unseren Song `Wild Child´ gecovert hat, also ist vielleicht ist doch etwas dran! Ich denke, dass die Presse immer versucht, Ähnlichkeiten oder Vergleiche mit anderen Bands zu finden. Meiner Meinung nach ist einer der Gründe dafür, dass wir möglicherweise nicht so erfolgreich waren, wie wir hätten sein können, dass wir nicht zu vergleichen waren. Die Radiosender in Großbritannien wussten nicht, ob sie ROMEO´S DAUGHTER als Rock- oder Popband einordnen konnten und wussten nicht, wo sie uns unterbringen sollten. Ich denke, wir haben einen völlig eigenständigen Sound, auf den ich sehr stolz bin.

Euer zweites Album Delectable erschien 1993 und somit fünf Jahre später, was damals eine Ewigkeit war und im Grunde einen Neuanfang bedeutete. Es geschah mitten im Grunge-Boom, der für viele Bands mit eher melodischer Ausrichtung einen Karriererückschlag bedeutete. Einige Bands passten sich dem an und veröffentlichten Alben, die wenig mit ihrem Originalsound zu tun hatten. ROMEO´S DAUGHTER waren konsequenter und haben sich aufgelöst. War eine Anpassung Eures Sounds an den Zeitgeist für Euch keine Option?

Wir hatten enorme Verzögerungen bei der Aufnahme und Veröffentlichung von Delectable, da uns unser damaliges Plattenlabel warten wollte, bis Mutt Lange für die Produktion verfügbar ist. Nach etwa neunmonatigem Warten hat er letztendlich abgesagt, da er zu beschäftigt war. Wir wurden buchstäblich im Stich gelassen und mussten auch noch unser Plattenlabel wechseln und einen neuen Produzenten finden, also war es eine wirklich schlechte Zeit für uns. Auf keinen Fall wollten wir jedoch unseren Sound ändern und an den Grunge-Boom anpassen, also blieb uns leider keine andere Wahl, als uns aufzulösen. Wir waren seit über 10 Jahren zusammen und hatten viele Rückschläge erlebt, also war es an der Zeit zu sehen, was das Leben sonst noch für uns alle bereithielt, so traurig es damals auch war. Damals wussten wir noch nicht, dass es 18 Jahre dauern würde, bis wir wieder zusammenkommen und stärker als je zuvor zurückkommen würden!

Euer Debütalbum wurde 2008 erneut veröffentlicht. War das auch der Grund für die Reunion von ROMEO´S DAUGHTER und hat Euch das erneute Interesse dazu bewogen, wieder live zu spielen? Dies zu organisieren und mit den eigenen Lebensumständen und den daraus resultierenden neuen Prioritäten in Einklang zu bringen, dürfte nicht einfach gewesen sein.

Eigentlich hatte die Veröffentlichung keinen Einfluss auf unsere Reunion. Der wahre Grund dafür war ein Festival in Nottingham namens „Firefest“. Es sollte eigentlich nur ein einmaliger Auftritt sein, aber wir waren sehr erstaunt über die unglaubliche Resonanz, die wir an diesem Tag erhielten. Es waren so viele Fans aus allen Teilen der Welt angereist, um uns zu sehen, so dass wir uns dazu entschlossen haben, wieder zusammen zu spielen. Ich bin so froh, dass wir das gemacht haben!

Bis zum nächsten regulären ROMEO´S DAUGHTER – Album namens Rapture dauerte es bis 2012. Wie geht man nach einer 20-jährigen Pause an ein neues Album heran? Habt Ihr Euch eine Strategie hinsichtlich Sound und Stil überlegt oder einfach auf die kreative Kraft vertraut und geschaut, was am Ende dabei herauskommt?

Craig Joiner ist der Haupt-Songwriter und Produzent von ROMEO´S DAUGHTER, daher liegt die meiste Last auf seinen Schultern. Es gibt keine festgelegte Strategie, wenn wir mit dem Prozess beginnen, und er verläuft sehr organisch, indem wir alle Songs durchgehen, die wir für stark halten, sie dann alle vorführen und anschließend eine Entscheidung darüber treffen, was auf das Album kommt. Die Dinge haben sich seit unseren Anfängen so sehr verändert, dass wir jetzt alles in Eigenleistung angehen. Wir sind nicht bei einem Plattenlabel, sondern machen so ziemlich alles selbst, von der Aufnahme und Produktion der Alben bis hin zum Artwork und somit alles, was mit der Veröffentlichung des Albums einhergeht. Es ist etwas, das wir angenommen haben und das wir wirklich gerne tun, und jeder von uns hat dabei seine eigene Rolle zu spielen.

Euer nächstes Album Spin erschien nur drei Jahre später, aber trotz des kürzesten Zeitabstands zwischen Euren Alben klingt es für manche Ohren etwas düsterer, als man es von Euch gewohnt war. Woran lag das?

Wir wollten schon immer ein paar härtere Titel auf unseren Alben haben, aber wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu weit von unserem Originalsound entfernen. Ich denke, Du meinst vor allem den Song `Touch´ auf Spin, der mir wirklich gefällt. Wir haben auf Slipstream mit `Over You´ und `Inseparable´ noch mehr Songs dieser Bauart hinzugefügt. Sie haben alle großartige, schwere Gitarrenriffs und sind textlich etwas düsterer.

Zurück in die Gegenwart: Die aktuelle AOR- und Melodic-Rock-Szene wird vor allem durch ihre begeisterten Fans am Leben gehalten, die ihren Lieblingsbands sehr treu sind, noch immer CDs, Vinyl und Merchandise kaufen, Konzerte besuchen und vereinzelt sogar beträchtliche finanzielle Risiken eingehen und fantastische Festivals wie das „Malmö Melodic“ oder das „Indoor Summer“ in Hamburg organisieren (oder ein Webmagazin wie die AOR Bible betreiben ;-). Wie siehst Du diese Szene derzeit, und was bedeutet sie für ROMEO´S DAUGHTER? Die Festivals sind gut besucht, allerdings sind nur wenige junge Leute da. Es fehlt der Nachwuchs…

Ohne all diese fantastischen Festivals und Webmagazine könnten wir als Band nicht weitermachen! Wir verlassen uns sehr auf unsere Fangemeinde, aber es ist wirklich wichtig, neue Fans zu gewinnen. Deshalb ist es ja auch so schön, zu Festivals wie dem „Malmö Melodic“ eingeladen zu werden, da wir noch nie zuvor in Schweden gespielt haben, und es ist so toll, die Leute zu treffen, die uns all die Jahre lang begleitet haben und uns noch nie live sehen konnten. Wir würden gerne öfter in Europa spielen, müssen aber dazu eingeladen werden, also verbreite unseren Wunsch bitte weiter!

Dein Name taucht immer wieder auf, wenn eine Rangliste der besten Frauenstimmen erstellt wird. Was bedeutet es für Dich persönlich?

Es ist schön, in solchen Ranglisten genannt zu werden, aber ehrlich gesagt bedeutet mir das sehr wenig. Ich bin immer die schärfste Kritikerin meiner eigenen Stimme und gebe daher nicht viel auf solche Umfragen. Ich freue mich einfach, dass die Leute mir gerne zuhören und Spaß daran haben.

Eine ganz andere Frage: Großbritannien ist aus der EU ausgetreten und es sieht derzeit so aus, als würde die neue britische Regierung am Brexit festhalten. Hatte dies irgendwelche Auswirkungen auf britische Musiker?

Der Brexit war mit Abstand die schlechteste Entscheidung, die Großbritannien in diesem Jahrhundert getroffen hat! Es hat enorme Auswirkungen auf britische Musiker, die nach Europa kommen, und auch auf europäische Musiker, die zu uns nach Großbritannien kommen, und ich HASSE es aus Leidenschaft! Ich habe immer das Gefühl geliebt, ein Teil Europas zu sein, und vermisse es schrecklich. Ich verstehe zwar, dass es schwierig ist, den Brexit rückgängig zu machen, aber ich hoffe, dass unsere neue Regierung die Beziehungen zwischen uns und Europa verbessern wird und dass es zukünftig auch einige Änderungen der Vorschriften für Musiker geben wird.

Und noch eine letzte Frage, die mich persönlich interessiert: Ist es wirklich so schwierig, mit Mutt Lange zusammenzuarbeiten? Ich habe in verschiedenen Biografien gelesen, dass er sehr detailverliebt ist und dadurch viele Künstler zur Verzweiflung gebracht hat…

Die Zusammenarbeit mit Matt war eine wahre Freude und wir haben mehr von ihm gelernt als von jedem anderen Produzenten, mit dem wir zusammengearbeitet haben. Er war sehr geduldig und freundlich zu uns und wir haben jede Minute mit ihm genossen. Er ist tatsächlich sehr detailorientiert, aber das dient der Verbesserung der Songs und ist der Grund dafür, dass alle seine Alben von damals so fantastisch klingen – wir sind ihm sehr dankbar.

Leigh, vielen Dank für den freundlichen und unkomplizierten Kontakt und dafür, dass Du Dir die Zeit für das Interview genommen hast. Wenn Du unseren Lesern noch etwas sagen möchtest, hast Du das letzte Wort!

Ich möchte Euren Lesern und unseren Fans für die wunderbare Unterstützung und Liebe danken, die uns all die Jahre entgegengebracht wurde! Wir wollen für jeden, der uns unterstützt hat, das Beste aus uns herausholen und hoffen, dass wir noch viele Jahre lang weiterhin Musik machen können!