Konzertbericht – NESTOR in München, 04.11.2024

Der kommerzielle Aufstieg von NESTOR gleicht – zumindest in AOR-Kreisen – fast einem Märchen. Bereits Ende der 80er gegründet, brachte es die Band gerade mal auf eine EP (1993), welche zudem eher im Prog/Powermetal zu verorten war. Danach lagen die Schweden erstmal im Tiefschlaf, bis man 2017 den Auftrag erhielt, einen Soundtrack für ein Videospiel zu erstellen. NESTOR hatten wieder Blut geleckt und 2021 erschien mit Kids In A Ghost Town tatsächlich ihr erstes Full Length-Album.

Was dann passierte ist für mich eines der größten Mysterien der jüngeren Musikgeschichte. Das Album bekam – zurecht – nicht nur hervorragende Reviews, auch erhielt die Band einen Bekanntheitsgrad, der für die Art von Musik beinahe unfassbar ist. Warum die Welt nun gerade jetzt auf NESTOR gewartet hat, erschließt sich mir bis heute nicht, weil ähnlich gelagerte Bands immer noch im tiefsten Untergrundschlamm wühlen. Aber es tut einfach gut, wenn man sieht, dass die Szene noch lebt und manchmal einfach nur einen Schubs aus der richtigen Richtung braucht.

Vor ein paar Monaten erschien mit Teenage Rebel der Nachfolger und diesen gilt es jetzt ausgiebig auf der laufenden Tour vorzustellen. In München war die Backstage-Halle (trotz Montag) fast ausverkauft, was etwa 450 Zuschauer bedeutet. Das klingt erstmal nicht viel, man muss jedoch bedenken, dass NESTOR tags zuvor vor knapp 800 Leuten im etwa 100km entfernten Memmingen spielten. Außerdem gastierte BRYAN ADAMS am gleichen Abend ca. 3 Kilometer Luftlinie entfernt in der Münchner Olympiahalle.

Im Vorprogramm standen VELVETEEN QUEEN, welche ich bis dato überhaupt nicht kannte und die Jungs (das „Jung“ kann man hier wörtlich nehmen) heizten München richtig ein. Stilistisch tief im Sleaze-Rock verwurzelt (GUNS’N ROSES, CINDERELLA, den QUIREBOYS, BADLANDS, MOTHER LOVE BONE und natürlich auch VELVET REVOLVER), konnte vor allem Sänger Samuel Nilsson vollends überzeugen. Fehlerfrei und mit einem perfekten Stageacting wurden die Göteborger vom Publikum abgefeiert, wie es sich so manche Hauptband wünschen würde. Da auch auf der instrumentalen Seite alles im grünen Bereich war, verließ die Band unter tosendem Applaus sichtlich zufrieden die Bühne.

Ganz in weiß gekleidet, starteten dann NESTOR mit der unmissverständlichen Botschaft ‚We Come Alive‘ vom Opener ihres zweiten Albums in das Set und die Zuschauer gaben von Anfang an alles – genau wie die Band.

Im Folgenden war es auch egal, ob schnelle Nummern wie ‚Firesign‘ oder balladeskes wie ‚The One That Got Away‘ – alle übrigens kristallklar – aus den Lautsprechern kamen: der Auftritt war an Perfektion kaum zu überbieten. Bei aller Perfektion hatten NESTOR augenscheinlich jede Menge Spaß auf der Bühne, was dann auch über die gesamte Distanz von 90 Minuten auf die Fans übertragen wurde. Besonders zu erwähnen ist aber die Gesangsleistung von Tobias Gustavsson. Bei seiner Interpretation der Songs rutschte so manch einem die Kinnlade ordentlich Richtung Parkett. Besser kann man das nicht machen.

Über die Songauswahl muss man nicht diskutieren, weil eh fast alle Songs der beiden Alben gespielt wurden. Interessanterweise wurde die ziemlich erfolgreiche Ballade ‚Tomorrow‘ vom Debütalbum aus der Setlist gestrichen (und ich trug extra mein altes Samantha Fox-Shirt aus den 80ern). Den stilistischen Bruder ‚Daughter‘ vom zweiten Album suchte man ebenfalls vergebens. Im Grunde war das eine sehr gute Entscheidung, weil dadurch das Stimmungslevel konstant oben gehalten wurde.

Bei den Zugaben ‚On The Run‘, ‚Teenage Rebel‘ und natürlich ‚1989‘ stieg das Energielevel der Band und das der Fans unglaublicherweise nochmal an und wer im bisherigen Verlauf des Sets nur anerkennend genickt hat, wurde nun auch zum Tänzer oder Banger. Dieser Gig wird allen Dagewesenen noch lange Zeit in Erinnerung bleiben.

Was machen NESTOR auf der Bühne nun besser als andere Bands? Man kann es gar nicht so richtig beschreiben, aber von Anfang an lag eine nostalgische Magie in der Luft. Nostalgisch nicht in dem Sinne, dass man das Gefühl hatte, NESTOR wollen auf Biegen und Brechen einen Gig spielen, wie ihn auch ihre Vorbilder vor 25 Jahren auf die Bühne brachten. Nein, das war die Zelebrierung der Musik, die wir lieben und verehren konsequent auf den Punkt gebracht, immer mit Verweisen auf die 80er und trotzdem ohne einen verklärten Blick in die Vergangenheit.

Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, dass 5 erstklassige Musiker in Summe eine tolle Band ergeben, andererseits ist eine tolle Band nicht automatisch eine herausragende Liveband. NESTOR haben mit ihren Alben bewiesen, dass sie eine großartige Band sind und live muss man sie jetzt auch in einem Atemzug mit den ganz Großen der Szene nennen.

FOTOS

 

VIDEOS