Zuerst einmal eine ganz allgemeine Bemerkung, die zunächst noch nichts mit der Band WINDING ROAD zu tun hat: eine AOR-Soundkonserve schwedischer Herkunft ist eigentlich eine sichere Bank und bietet gewohnt gute Qualität von guten Musikern. Aufgrund der Vielzahl an ähnlich klingenden Veröffentlichungen haftet an solchen Alben aber oftmals der Makel der Beliebigkeit, der zu zwar respektablen, aber nicht eben euphorischen Bewertungen im oberen Mittelfeld des AOR Bible-Bewertungsrefugiums führt (das ist aber – mit Verlaub – sehr pauschal formuliert und sehe ich etwas anders – Rainer). Man könnte es sich somit leichtmachen und eine Standardrezension anfertigen, die für mehr als die Hälfte aller Outputs aus dem Land der scheinbar unbegrenzten Melodicrock-Möglichkeiten recycelbar wäre. Inhaltlich würde man häufig nicht einmal falsch liegen und hätte seine Rezension schnell erledigt. Die Schweden-AOR-Albumrezeptur wird schließlich ebenso häufig wiederverwertet, und Recycling steht doch für nachhaltige Ressourcenverwertung in Industrieproduktionen. Warum also nicht?
Ganz so einfach geht es natürlich nicht: zum einen ragen aus dem beschriebenen Standard immer wieder mal einige Band – Perlen heraus. Zum anderen kann eine Band wie WINDING ROAD schließlich nichts dafür, dass sie in einem übrigens wirklich schönen Land beheimatet ist, in dem es mindestens eine weitere Band des gleichen Genres in jeder Nachbarschaft zu geben scheint. Dass man sich da gelegentlich auch mal aushilft und gegenseitig in der Inspiration befruchtet, ist ebenso natürlich wie nachvollziehbar. Für den Rezensenten eines solchen Albums, der ehrlich bemüht ist, dessen Besonderheiten herauszustellen und zu würdigen, wird diese Aufgabe durch die bloße Masse an Veröffentlichungen jedoch zunehmend schwierig, weil diese Besonderheiten ziemlich rar gesät und Alleinstellungsmerkmale allenfalls an kleinen Soundnuancen festzumachen sind. Somit sorgt ein Auftrag aus der AOR Bible- Chefetage zur Rezension eines Albums aus Köttbullarcountry bei mir mittlerweile für nervöses Zucken. I’ll do my very best…(hatten wir heute etwas Klischee zum Frühstück, Herr Kollege 😊 – Rainer)
Alles richtig gemacht haben es WINDING ROAD jedenfalls schon mal beim Cover ihres Zweitwerks, das äußerst geschmackvoll den Bandnamen aufgreift und eine um diverse Hügel geschwungene futuristische Straße zeigt. Auch der Albumtitel Fill my Sails wird durch einen unter vollen Segeln stehenden Windjammer aufgegriffen. Klassik und Moderne treffen somit rein optisch aufeinander – gilt dies vielleicht auch akustisch? Der Opener `Close My Eyes In Tokyo´ zumindest bestätigt diese Vermutung, denn typische Oldschool – Akkordfolgen treffen auf einen modernen Sound der angenehmen Art. Sehr gelungen sind die mit kleinen Keyboardspielereien gespickten kurzen Breaks und der fesselnde Refrain – den Song werde ich mir schon mal für meine persönliche Jahresbestenliste merken. Der anschließende Titelsong `Fill My Sails´ beginn mit einem schönen, getragenen Piano – Intro, das eine dreiviertel Minute in die Irre führt, denn der eigentliche Song zieht das Tempo anschließend deutlich an, bleibt in seiner Wirkung aber hinter dem Opener zurück.
`I‘m Alive´ beginnt reichlich schleppend, um Richtung Refrain ordentlich Tempo aufzunehmen. Dieser ist zweigeteilt und beginnt proggig – zerstückelt, um dann straighter und treibender das Finale einzuleiten. Wieder ein ideenreiches Arrangement, das meinen Daumen anerkennend Richtung Zimmerdecke richtet. `I’ll Give My Heart To You´ ist dann leider genauso belanglos, wie es der Titel vermuten lässt. Gefällig und nett, aber schnell wieder vergessen. `Love’s Walking Out Of Sight´ klaut anfangs ein wenig den Keyboardsound von VAN HALEN’s `Dreams´ und ist ein gemächlicher Rocker, dessen Refrain wieder besser zündet und ein schönes Solo mit anschließendem Break enthält.
`Hang Tough´ galoppiert danach schnell ins Ohr und leider ebenso schnell wieder heraus. Live dürfte diese Nummer allerdings eine deutlich stärkere Wirkung entfalten, denn ein leichtes Zucken in meinen in Sitzstellung befindlichen Beinen verursacht er immerhin. `Devils Daughter´ überrascht danach nicht nur mit Saxophon (das allerdings etwas klinisch klingt – ich vermute eher ein Keyboard dahinter), sondern auch mit deutlichem Pop–Appeal. Auch der unwiderstehliche Refrain mach diesen Song für meine Ohren zu einem weiteren Highlight. `Closer To The Truth´ ist dann ein mit flächigen Keyboards untermalter Heavyrocker, der somit ein weiteres Mal Abwechslung in die Albumdramaturgie trägt. Kein künftiger Klassiker, wohl aber brauchbarer Teil des Albums.
Mit `Healing Touch´ habe ich eigentlich die längst überfällige Ballade erwartet, aber ganz so leicht machen es WINDING ROAD mir mit der Berechenbarkeit nun doch nicht. Vielmehr wird ein fröhlich rockender Uptempo-Song kredenzt, der Laune macht und wieder einige kleine, aber feine kompositorische Finessen enthält. `Jackie Lee´ überschreitet danach die sechs – Minuten und ist für mich ein weiteres Album-Highlight und Kandidat für die Jahresbestenliste, denn der Song hat viel Rock´n´Roll – Feeling und eine schmatzende Schweineorgel, um mit einem sich ins Ohr fräsenden Refrain dann wieder Richtung klassischer AOR zu schwenken. Der meist in mittleren bis hohen Lagen agierende Sänger Jonas Tyskhagen zeigt sich variabel und überrascht hier mit deutlich mehr Dreck in der Stimme – mega! `When The Lights Go Down´ ist nur wenig kürzer und knipst dem Album nicht nur dem Titel nach die Lichter aus. Hier bekomme ich am Ende doch noch die lang vermisste Powerballade. Und zwar eine, die sich gewaschen hat: toller, hymnischer Refrain, schöne Akkordfolgen und ein würdiger Abschluss eines interessanten Albums.
Fazit: WINDING ROAD – bestehend aus Jonas Tyskhagen (Gesang), Jan Hedlund (Drums, Background Vocals) und Magnus Akerlund (alles andere) – gewinnen natürlich keinen Originalitätspreis, liefern aber ein abwechslungsreiches und mit einigen Überraschungsmomenten bestücktes Album. Meine eingangs formulierte Befürchtung eines weiteren zwar sauberen, aber auch belanglosen Standard-AOR-Albums hat sich zum Glück nicht bestätigt. Vielmehr kann ich ein Antesten wärmstens empfehlen und vergebe 82% für ein Album mit einigen Highlights und nur wenig Durchschnittsware. Well done, Gentleman!