Endlich Feierabend. Raus aus dem Büro und rein ins Auto. Das Navi meldet eine Fahrzeit von 90 Minuten anstatt der üblichen 60 – viel Verkehr. Es fängt an zu regnen. Genervt trete ich die Fahrt an. Zur musikalischen Untermalung soll das (nicht mehr ganz so) aktuelle Album von DRIVE AT NIGHT herhalten, ein Projekt von Joachim Norlund und Johan Lindstedt, welche beide hauptamtlich bei ASTRAL DOORS tätig sind. Das Album steht schon seit über 3 Monaten auf meinem Zettel, ich fand aber nie die Gelegenheit und Zeit mich damit zu beschäftigen. Ich überlege noch kurz, ob ich nicht doch auf etwas anderes umschwenken sollte. Auf Metal ala ASTRAL DOORS hatte ich aufgrund der düsteren Aussicht der Fahrt eigentlich überhaupt keine Lust, wobei der Pressetext eine melodischere Ausrichtung versprach. Die Neugier hatte gesiegt und die ersten Töne von ‚The 80’s Calling‘ schwirrten durchs Fahrzeug.
Sogleich besserte sich meine Laune. DRIVE AT NIGHT werden hier nicht nur von den 80ern gerufen, nein, man fühlt sich sofort wieder in diese Zeit versetzt. Eine Melodie zum Niederknien, ein Refrain im allerbesten CRAZY LIXX-Style und ein Text der einem wohlige Gefühle beschert – absolute Klasse, aber das kann unmöglich so weitergehen – tut es aber doch. ‚The Youth Of Today‘ haut dann in eine ähnliche Kerbe. Mit verstärktem Keyboardeinsatz bekommt man die AOR-Vollbedienung, ehe man beim Refrain die Faust gen Himmel streckt und gar nicht anders kann als dem Duo in allen Punkten recht zu geben, nämlich, dass früher alles besser war – scheiß drauf, ob das wirklich stimmt!
Unwiderstehlich auch ‚Partners In Crime‘, das wie ein unveröffentlichtes 80er-Jahre-BON JOVI Stück beginnt, im Refrain aber extrem an Fahrt aufnimmt. Der Fahrer bangt, das Auto wackelt. Die ultimative Partyhymne folgt mit ‚Weekend Fun‘ – klingt ein bisschen wie RECKLESS LOVE auf Steroide. „Welcome To The Party Of Your Life“ tönt es aus dem Lautsprecher und ich frage mich nur eines: „Wo verdammt nochmal ist denn diese Party?“ Egal, ich weiß nur, da muss ich hin.
Ich bin wahrlich kein großer Freund von Balladen, aber das rein akustische ‚Endless Kind Of Love‘ wäre vor 35 Jahren ein totsicherer Hit geworden und lässt mich mit einer dicken Gänsehaut zurück. Pulver verschossen? Mitnichten. ‚One‘ glänzt mit dem vielleicht schönsten „Fire/Desire“ Refrain aller Zeiten – und davon gibt’s weiß Gott nicht wenige. ‚Wake Up‘ dagegen ist dann eine einzige Verbeugung vor BROTHER FIRETRIBE. Ja, ‚Wake Up‘ klingt ziemlich nach ‚Break Out‘ vom sagenhaften Debüt der Finnen, macht aber nichts, weil das hier so charmant interpretiert wird und ein weiteres Highlight auf Echos Of An Era darstellt.
‚King Of Kings‘, ‚Wild In The Streets‘, ‚Time‘, ‚High Enough‘ und das abschließende ‚United‘ hauen in die gleiche Kerbe und lassen mich sprachlos zurück und ich drücke zitternd die „Repeat“-Taste, um diesen Trip nochmal zu erleben, schließlich ist erst die Hälfte der Fahrzeit vorüber.
Ich habe das Album mittlerweile bestimmt 10x gehört und es hat nichts von seiner Faszination verloren. Zweifellos gibt es musikalisch anspruchsvolleres und es mag auch technisch bessere Sänger als Joachim Norlund geben, aber das Songmaterial ist einfach bärenstark und – ja, das meine ich ernst – kann es mit den damaligen Protagonisten locker aufnehmen, vom Partyfeeling ganz abgesehen.
Natürlich haben wir es hierbei nicht mit einem reinrassigen AOR-Album zu tun, aber aufgrund der durchaus vorhandenen o.g. Einflüsse sollten auch Melodicrock-Puristen mit dem Album klarkommen. Für Fans der alten BON JOVI, TREAT, TINDRUM, STEEL PANTHER (Feel The Steel), RECKLESS LOVE (bis Spirit) oder CRAZY LIXX ist Echos Of An Era sowieso ein absolutes Muss. Und für mich ist das Album das bisherige Highlight des Jahres 2022.