Es ist schon erstaunlich, welch ein Hype in den letzten Monaten um die Schweden von NESTOR veranstaltet wurde. Wie aus dem Nichts kommend und angefacht durch drei vorab veröffentlichte und sehr professionell produzierte Videoclips, war hier von DER neuen Sensation im AOR/Melodic Rock-Bereich die Rede. Nun liegt in Form von Kids In A Ghost Town endlich das heiß ersehnte Debüt der schon etwas betagteren Herren vor und sie müssen nun beweisen, ob die zahlreichen Vorschusslorbeeren gerechtfertigt waren.
Schon nach dem kurzen, an alte John Carpenter Moviescores, erinnernden Intro ‚A Fanfare For The Reliable Rebel‘ legt die Formation gleich mit dem unwiderstehlichen Rocker ‚On The Run‘ furios los und spätestens bei der Textzeile “…Call The Police…” haben die Herrschaften einen gnadenlos am Wickel. Dieser powergeladenen Opener skizziert auch perfekt den stilistischen Rahmen der Scheibe.
Angefangen bei der Produktion über die Texte bis hin zur Melodieführung – hier werden sämtliche 80er-Klischees bis aufs äußerste ausgereizt. Dies geschieht aber auf solch charmante und immer mit einem Augenzwinkern versehene Art und Weise, wie ich es in der Form und mit der Frische bisher noch von keinem anderen aktuellen Act vernehmen konnte.
Dabei beschränken sich Nestor aber keineswegs ausschließlich auf das Kopieren altbekannter Stilmittel, sondern reichern ihren Sound geschickt mit eigenen Ideen an. So weiß Sänger Tobias Gustavsson mit seinem angenehmen Timbre genauso zu punkten wie die zwar kurzen, aber dafür umso wirkungsvoller eingesetzten Gitarrenparts von Jonny Wemmenstedt. Vor allen Dingen in Sachen Gesang verbieten sich gar jegliche Vergleiche. Gustavsson ordnet sein äußerst variables Klangbild immer dem Song unter setzt seine mal hohe, mal in den mittleren Tonlagen agierende Stimme nie zum Selbstzweck ein. Weniger ist hier eindeutig mehr.
Beim nachfolgenden, ebenfalls sehr flotten, Titeltrack wird dann endgültig klar, dass wir es hier mit einem außergewöhnlichen Album zu tun haben. Wieder ein Refrain, der einem nicht aus dem Kopf geht, wieder diese typischen, sehr dezent und passend eingesetzten Keyboardteppiche und wieder Melodien, die auch für Toto oder Asia in ihren Hochzeiten absolute Highlights gewesen wären.
Die wunderschöne Ballade ‚Tomorrow‘, im Übrigen grandios im Duett mit 80er-Ikone Samantha Fox eingesungen, und das ebenfalls getragene, mich etwas an WILDNESS` Ulitimate Demise (2020) erinnernde, ‚It ain´t me‘ sorgen für die nötigen Verschnaufpausen. Die sind auch nach dem treibenden ‚We are not OK‘ (DEF LEPPARD lassen grüßen) und dem leicht an die Midtempotracks von RAINBOWs Bent Out Of Shape-Ära gemahnende ‚Firesign‘ unbedingt notwendig.
Ich könnte hier noch stundenlang über die einzelnen Songs philosophieren, aber das würde zu weit führen. Fakt ist: Kids in a Ghost Town setzt in jeder Beziehung neue Maßstäbe. Und wer immer noch Zweifel hat, dem sei die leider nur auf Youtube erhältliche Pianoversion des Smashers ‚On the Run‘ ans Herz gelegt. Das ist schon ganz großes Tennis.
Zum Schluss sei mir noch eine Rückfrage an die Band selbst gestattet: Wo zum Teufel wart Ihr in den letzten 30 Jahren? Die Szene hätte Euch so nötig gebraucht!
Beeindruckend!!!