LOST GEMS: PRISM – Beat Street

Label
Capitol Records
Erscheinungsjahr
1983
Tracklist
Nightmare
Beat Street
Dirty Mind
Modern Times
Is He Better Than Me
Blue Collar
Wired
State Of The Heart
I Don´t Want To Want You Anymore
Line-Up
Henry Small – lead and backing vocals
Paul Warren – guitars
Richie Zito – guitars; backing vocals
Mike Baird – drums; percussion
Dennis Bellfield – bass guitar
Alan Pasqua – keyboards
Jimmy Phillips – keyboards
Michael Tempo – percussion
Timothy B. Schmit – backing vocals
Bill Champlin – backing vocals
Bobby Kimball – backing vocals
Unsere Wertung
85
85

Ich habe etwas länger überlegt, ob ich für das Review zu PRISM´s Album Beat Street auf die Vorgeschichte dieser aus der kanadischen Westküstenstadt Vancouver stammenden Band eingehen sollte, denn außer dem Sänger Henry Small, der ansonsten auch nur das Vorgängeralbum Small Change eingesungen hat, hat Beat Street nichts, aber auch gar nichts mit der ursprünglichen Band zu tun – weder mit den involvierten Musikern noch mit der musikalischen Ausrichtung, die zuvor eher typisch endsiebziger, bombastisch-verspielter Pomprock war als der eher geradlinige und sparsam instrumentierte AOR des hier rezensierten Albums. Trotzdem lohnt sich die Betrachtung der Bandgeschichte, weil sie nicht nur stets niveauvolle Vorgängeralben hervorgebracht hat, sondern auch der Karrierestartschuss für so manche Größe des Rockbiz mit Ursprung in Kanada war.

PRISM´s Bandgründer und treibende Kraft der ersten Jahre war kein geringerer als der spätere TOP-Produzent Bruce Fairbairn. Als Musiker war er bei den frühen PRISM als gelernter Trompeter für diverse Blasinstrumente zuständig. Da dies in der Rockmusik eher exotische Instrumente sind, fristete er als Musiker ein Schattendasein, was in krassem Kontrast zu seinem großen Einfluss hinter den Kulissen als Produzent und Tourmanager stand. Dies prägte Bruce Fairbairn ganz offensichtlich, denn nach seiner Zeit mit PRISM trat er als Musiker kaum noch in Erscheinung, wuchs aber zu einem Produzenten mit Multiplatin –Garantie und veredelte den Albumsound u.a. von LOVERBOY, BON JOVI, AEROSMITH, AC/DC, KISS, YES, POISON, BLACK ´N BLUE, SCORPIONS oder CHICAGO.

An den Drums saß bei PRISM anfangs ein gewisser Jim Vallance, der auch für einen großen Teil des Songwritings verantwortlich war. Anfangs noch alleine, später zusammen mit Sandkasten-Buddy BRYAN ADAMS, welcher wenige Jahre später Weltruhm als Solo-Interpret erlangte und hier nicht weiter vorgestellt zu werden braucht. Kleines Funfact am Rande: durch den steigenden Erfolg des Komponisten-Gespanns Vallance/Adams arbeitete Jim Vallance bei PRISM sowohl als Drummer wie auch als Komponist zwischenzeitlich unter dem Pseudonym „Rodney Higgs“, weil er befürchtete, nie wieder einen Plattenvertrag zu bekommen, wenn sein richtiger Name mit einem möglichen Scheitern der Band in Verbindung gebracht werden würde.

Erwähnenswert für AOR- und Melodic Rock – Freaks ist noch der frühere PRISM – Bassist Ab Bryant, der später Erfolge mit den Bands CHILLIWACK und HEADPINS feiern konnte. Weitere Bandmitglieder der Frühphase traten später hautsächlich bei verschiedenen Reunion-Besetzungen von PRISM in Erscheinung, die bis heute einige Touren und diverse Alben zustande gebracht haben, die aber mehr vom Rum und Erfolg längst vergangener Tage zehren, in denen die Band zumindest in Ihrem Heimatland eine große Nummer war.

Das 1977 erschienene, selbstbetitelte Debutalbum von PRISM erreichte in Kanada ebenso auf Anhieb Platin wie der Nachfolger See Forever Eyes. Das dritte Album Armageddon ist kommerziell das bis heute erfolgreichste PRISM-Album, erreichte Doppelplatin und mit dem Titelsong, `Virginia´ und `Night to Remember´ gleich drei Chartbreaker in Kanada. Album Nummer vier namens Young and Restless erschien 1980 und stand unter keinem guten Stern, auch wenn es mit dem Titelsong den größten Charterfolg der Bandgeschichte einbrachte. Ihr Label war nach der Veröffentlichung pleite, und im Sog dieser damit verbundenen Ereignisse schmissen Hauptkomponist Jim Vallance und Produzent Bruce Fairbairn die Handtücher.

Außerdem bereitete Frontman Ron Tabak zusehends Probleme, da er durch seinen Drogen- und Alkoholmissbrauch mehrmals in Konflikte sowohl mit seinen Bandkameraden als auch mit dem Gesetz geriet und schließlich gefeuert wurde. Er erlag wenig später den Verletzungen, die er sich durch einen schweren Sturz zugezogen hatte. Auf Empfehlung von LOVERBOY- Mastermind Paul Dean wurde er durch Henry Small ersetzt, mit dem im Sommer 1981 das Album Small Change für den Branchen-Riesen Capitol Records aufgenommen wurde. Jetzt wurden PRISM auch wieder für Vallance/Adams interessant, und deren feine Hymne `Don’t Let Him Know´ ist bestes Futter für Anhänger vom AOR der frühen Achtziger, wie ihn damals z.B. 707, SURVIVOR oder LE ROUX geliefert haben. Auch die gefühlvolle Ballade `Rain´ ist besonders zu empfehlen, denn auf der beweist Henry Small, was für eine gute Wahl er für den Posten des Frontmans gewesen ist.

Obwohl PRISM mit `Don’t Let Him Know´ erstmals auch die TOP 40 der US-Charts knacken konnten und den Juno Award der kanadischen Musikindustrie als “Gruppe des Jahres” gewannen, war dem Album jedoch nur ein bescheidener Erfolg vergönnt. Als Todesstoß erwies sich schließlich eine Tour mit den als „neue Beatles“ gehypten Landsleuten von KLAATU, die deutlich bessere Resonanzen beim Publikum erzielten. Durch die nicht erfüllten Erwartungen lösten sich PRISM Ende 1982 frustriert auf.

Lediglich für den zuvor unbekannten Henry Small bedeutete das Album Small Change einen deutlichen Aufstieg auf der Karriereleiter. Der Ehrgeiz war geweckt, und er beschloss, als Solokünstler weiterzumachen, wofür er bekannte Session-Musiker wie Alan Pasqua (Keyboards), Paul Warren und Richie Zito (Gitarren), Dennis Bellfield (Bass) und Mike Baird (Drums) sowie die Backup-Sänger Timothy B. Schmit (EAGLES), Bobby Kimball (TOTO) und Bill Champlin (CHICAGO) gewinnen konnte. Die Songs schrieb er größtenteils gemeinsam mit Davitt Sigersson und Richie Zito, der auch Teile der Produktion übernahm, obwohl auf dem Album als alleiniger Produzent Carter angegeben ist, der stets nur mit seinem Nachnamen benannt wurde und auch das Vorgängeralbum unter seine Fittiche hatte. Später wurde Richie Zito hauptamtlicher Produzent für EDDIE MONEY, CHEAP TRICK, BAD ENGLISH, HEART, TYKETTO, WHITE LION, RATT und MR. BIG, um nur einige zu nennen. Auch die Produzenten-Weltkarriere von Richie Zito hatte somit bei PRISM ihren Ursprung.

Innerhalb nur weniger Wochen entstand das Album Beat Street, das im Juli 1983 vermutlich aus kommerziellen Gründen als neues PRISM – Album veröffentlicht wurde, denn der Name der Band war nach mehreren Platin-Alben deutlich bekannter als der ihres Sängers, und die Rechte am Bandnamen waren im Besitz des Managements. Beat Street ist trotz dieses vermeintlichen Schnellschusses und trotz des Umstandes, dass nicht alle Songs sofort zünden, für viele ein Klassiker unter den AOR-Alben, der es zu meinem Erstaunen nicht in unsere TOP 250 geschafft hat und daher wenigstens eine Rezension als „Lost Gem“ in der AOR-Bible verdient hat.

Das Album beginnt mit `Nightmare´ vergleichsweise sperrig mit eher gesprochenen als gesungenen Vocals, überzeugt jedoch mit einer tollen Bridge, mit perlenden Keyboard-Akzenten und einem grandiosen Gitarrensolo und endet nach einem das Titelthema unterstreichenden Schrei ebenso abrupt wie eben auch so mancher Albtraum. Auch das Arrangement vom Titelsong `Beat Street´ passt zum Titel, denn der Beat zieht sich durch den gesamten Song hindurch und wird von Drums und Bass getragen, während Gitarren nur mit gelegentlichen kurzen Melodieläufen zu hören sind. Der Song enthält ein paar nette Ideen, ist auf Dauer jedoch etwas eintönig.

`Dirty Mind´ besticht durch einen tollen Groove und einer nun wieder ordentlich bratenden Gitarre, bevor mit `Modern Times´ der für mich einzige Skip-Kanditat des Albums folgt. Der Song setzt mir einfach zu sehr auf technische Effekte und sperrige Akkorde als auf Melodien, was zwar auch hier gut zum Songtitel passt, mir aber zu anstrengend ist.

Mit `Is He Better Than Me´ beginnt jetzt der Albumteil, der das Album zu einem Klassiker macht: ein verhaltener Beginn mit schönem Piano und Steigerung Richtung Refrain und einer amtlichen und sehr songdienlichen Gitarrenarbeit. `Blue Collar´ rockt gleich von Beginn an und ist – wie eigentlich fast das ganze Album – recht sparsam, aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen sehr passend arrangiert. Zukleisternde Keyboards oder alles wegdröhnende Gitarren sind nicht zu vernehmen, alles klingt glasklar und auf den Punkt gebracht.

Auch `Wired´ steht dem in nichts nach, ist hochmelodisch und wird wieder von einem kurzen, aber sehr gekonnten Gitarrensolo garniert. `State Of The Heart´ hat eine unwiderstehliche Melodie und passt auf jedes 80er-AOR-mixed Tape, wie es Kollege Olaf und ich damals regelmäßig ausgetauscht haben, um uns mit den neusten Entdeckungen der musikalischen Art zu versorgen.

Die überraschenderweise am Albumende platzierte Ballade `I Don’t Want to Want You Anymore´ erhielt viel Airplay und ist auch letzte Chartplatzierung unter dem Banner „PRISM“. Alleine ihretwegen lohnt sich die Anschaffung des Albums, denn dieser Song ist für mich persönlich eine der besten Balladen aller Zeiten. Hat sie doch alles, was es braucht, um die sentimentale Seite ihrer Hörer zu berühren: ein wunderschönes Piano – Intro, eine zum niederknien schöne Melodie und ein Arrangement mit bombastisch klingenden Drums und eine viel zu selten gehörte Verzögerung vor dem erneut grandiosen Gitarrensolo. Ehrlich, Freunde: es gibt nur eine Handvoll Songs, die mir über mehrere Dekaden eine wohlige Entenpelle verpasst haben – `I Don´t Want To Want You Anymore´ gehört definitiv dazu.

Beat Street ist mehrfach wiederveröffentlicht worden. Value for money bietet die im Jahr 2001 erschienene Doppel-CD-Version vom deutschen Label ATM Records, die zusätzlich nicht nur das tolle Vorgängeralbum Small Change enthält, sondern insgesamt sage und schreibe 34 Songs, die z.T. unveröffentlicht sind oder alternative Versionen der Albumsongs bieten. Das Inlet enthält nicht nur die gelungenen Cover beider CD´s, sondern auch die ausführliche Geschichte von PRISM. Trotz des etwas billig erscheinenden Artworks also eine lohnenswerte Investition.

Meine Bewertung von „nur“ 85% mag für ein Album der Lost Gem – Rubrik etwas sparsam sein, aber bei mir zünden halt nicht alle Songs. Die, die es tun, haben dann allerdings auch eine solche Qualität, dass auch Beat Street für mich ein Klassiker ist und in der AOR-Bible daher nicht untergehen sollte.