Crew Review: NESTOR – Teenage Rebel

Label
Napalm Records
Erscheinungsdatum
29.05.2024
Tracklist
1 The Law Of Jante
2 We Come Alive
3 Teenage Rebel
4 Last To Know
5 Victorious
6 Caroline
7 The One That Got Away
8 Addicted To Your Love
9 21
10 Unchain My Heart
11 Daughter
Line-Up
Tobias Gustavsson (v)
Jonny Wemmenstedt (g)
Marcus Åblad (b)
Mattias Carlsson (d)
Martin Frejinger (k)
Crew Review: 5 Autoren bewerten 1 Album - Have Fun!
Frank
82
Ulle
95
Thomas
86
Olaf
80
Rainer
92
87

Keine Band im Melodic-Sektor vermochte 2022 solch einen Hype zu verursachen wie Nestor mit ihrem famosen Debüt Kids In A Ghost Town. Nicht nur durch die Bank großartige Songs und eine fantastische Stimme zeichneten das Debüt der Schweden aus, auch die allgegenwärtigen 80er-Vibes, sowohl musikalisch als auch im Rahmen diverser Videoclips, konnten überzeugen. Sogar dermaßen, dass mancherorts gar Zweifel ob der Ernsthaftigkeit der Truppe aufkamen (Stichwort: STEEL PANTHER). Unbegründet, wie sich anhand der zahlreichen und überaus überzeugenden Liveauftritte zeigen sollte. Selbst ein eigenes Festival mit Namen „Nestor Fest“ konnten die nicht mehr ganz so jungen Herren aus dem Boden stampfen.

Die Messlatte für das zweite Album Teenage Rebel liegt somit hoch. Fluch und Segen zugleich und eine Herausforderung, an der schon so manch andere Band in der Vergangenheit gescheitert ist.

Nach einem kurzen Intro legen die Jungs um Sänger Tobias Gustavsson mit dem flotten ‘We Come Alive’ schon mal imposant los. Von der Grundstruktur her durchaus mit dem Bandhit ‘On the Run’ vergleichbar, ausgestattet mit einem feurigen Gitarrensolo und wie immer tollen Vocals von Gustavsson.

Noch einen draufsetzen kann der folgende Titeltrack, welcher mit einem überraschend harten Grundriff startet und es in Sachen Eingängigkeit durchaus mit den Glanztaten einer nicht ganz unbekannten Kapelle Namens SURVIVOR aufnehmen kann – ein todsicherer, künftiger Livehit.

Apropos SURVIVOR: Dass die Mannen um Jimi Jamison und Jim Peterik auch bei ‘Last To Know’ Pate gestanden haben dürften, ist kaum zu überhören. Ein schönes Midtempostück, dem ein wenig mehr Eigenständigkeit aber durchaus gut zu Gesicht gestanden hätte.

‘Victorious’ und ‘Caroline’ – beide vorab bereits als Single veröffentlicht – sind mir persönlich einen Tick zu glatt und zu offensiv auf Kommerz getrimmt, wenn auch am Songwriting sowie an der Instrumentierung nichts auszusetzen ist. Dass das Ende von ‘Caroline’ gar an einen MODERN TALKING-Song erinnert, ordne ich jetzt einfach mal als ein charmantes Versehen ein.

Mit ‘The One That Got Away’ darf natürlich auch die obligatorische Ballade nicht fehlen. Gustavssons glasklares und parallel dazu dennoch extrem variables Organ eignet sich geradezu perfekt für ruhige Songs, so auch hier. Dennoch erreicht der Track nicht ganz den Spirit eines ‘Tomorrow’ vom Debüt. Auch hier hätte ich mir weniger „Nummer sicher“ gewünscht und mehr Mut zur Überraschung.

‘Addicted to Love’, eingeleitet von einem schönen Keyboardthema, lässt dann endlich mal wieder etwas die Zügel schleifen und schweift durch seinen zwar eindringlichen, aber nie zu aufdringlichen Refrain erfrischend vom etablierten Schema ab und zählt gerade deshalb zu den Höhepunkten der Scheibe.

‘21’ erinnert in Sachen Aufbau und Ausrichtung frappierend an ‘Fire Dance’ vom 1983er Rainbow Album ‘Bent out of Shape’. Selbst das schön integrierte Keyboardsolo hätte in der Form auch von David Rosenthal stammen können.

Das Album endet mit dem etwas schleppender ausgerichteten ‘Unchain My Heart’ (schöner Gitarrenpart) sowie der zweiten Ballade ‘Daughter’. Letztere überzeugt durch eine tolle Gesangsleistung und einen sehr gefühlvollen Gitarrenpart. Ebenfalls ein Highlight.

Fazit:

Aus jeder Note triefen die 80er-Einflüsse erwartungsgemäß nur so, jedoch immer
verpackt in eine moderne und druckvolle Produktion. Gottlob wurde in der Beziehung auf die in jenen Jahren so inflationär eingesetzten Halleffekte vollkommen verzichtet. Die Songs können überzeugen, reichen aber größtenteils nicht ganz an die Qualität des Debüts heran. Dennoch eine gelungene Scheibe, wenn auch nicht der erwartete Überknaller.

(Frank – 82%)

 


NESTOR können mit ihrem neuen Album eigentlich nur verlieren, denn anders als beim wie aus dem Nichts aufgetauchten und allseits gefeierten Debut Kids In A Ghosttown fehlt dem Nachfolger zwangsweise mindestens schon einmal der Überraschungseffekt, falls nicht einige stilistische Stellschrauben gedreht und Kurskorrekturen vorgenommen werden. Aber will ich das als bekennender Fan überhaupt? Und vor allem: wollen NESTOR das? Die Antwort auf beide Fragen lautet eindeutig und entschieden: neeeiiin! Ich möchte genau das noch einmal, was mich bereits beim Debut in Ekstase versetzt hat, und genau das – so viel schon einmal vorweg – liefern NESTOR: die ergreifende Stimme von Tobias Gustavsson, die zum Heulen schönen Gitarrensoli von Jonny Wemmenstedt, die kompositorischen kleinen Finessen mit unerwarteten Akkordwechseln oder kurzen, aber enorm wirkungsvollen Verzögerungen und natürlich haufenweise Niederknie-Melodien. All das eben, was NESTOR nach bisher nur einem Album zu DER AOR/Melodic Rock-Referenzband der Gegenwart macht, all das bekomme ich auch auf Teenage Rebel.

Nach einem kurzen Intro namens `The Law Of Jante´, in dem kurz `1989´ vom Debut auf einem Billigkeyboard zitiert wird, geht es mit `We Come Alive´ in die Vollen, lässt ordentlich die melodische Sau raus und erfüllt meine hohen Erwartungen vollends. Gleiches gilt für `Teenage Rebel´, bei dem ein tolles Break ein wunderschönes Gitarrensolo einleitet. `Last To Know´ schaltet einen Gang zurück, hat deutliche Hysteria-Vibes und einen unwiderstehlichen Refrain, wie ihn derzeit nur diese Schweden hinbekommen (vielleicht später auch diese Finnen – ich habe gleich hohe Erwartungen an das neue Album von FREE SPIRIT).

Das vorab veröffentliche `Victorious´ fällt um ein paar kleine Nuancen ab, aber `Caroline´ bietet anschließend wieder schwindelerregendes Niveau – was für ein Monster von einem Song mit tollen Staccato-Keyboards, oh-hoh-hoh – Gangshouts und überraschendem Acapella-Schluss! Was den geschätzten Kollegen Frank hierbei an MODERN TALKING erinnert, muss er mir später mal bei einem Kölsch erklären (oder besser: bei einem Bier, hehe…). Mit `The One That Got Away´ folgt dann die erste reinrassige Ballade, in der Sänger Tobias Gustavsson viel Herzblut vergießt und einiges an STEVE PERRY-Timbre verbreitet. Erwartungsgemäß legt `Addicted To Your Love´ wieder einen Gang zu und besticht durch perlende Keyboards, die bei NESTOR nie aufdringlich, sondern immer dezent und songdienlich eingesetzt werden – Klasse!

Mit `21´ folgt dann das Pendant zu `Firesign´ vom Debut, nämlich eine tolle Uptempo-Nummer, bei der sich Keyboard- und Gitarrensolo abwechseln und die nach 2:54 Minuten leider wieder vorbei ist. `Unchain My Heart´ klingt tatsächlich sehr nach SURVIVOR zu Jimi Jamison-Zeiten. In diesem Punkt hat Kollege Frank völlig Recht: es gibt wahrlich schlechtere Referenzen. Mit `Daughter´ servieren NESTOR zum Abschluss dann die zweite Ballade, die auf einem einfachen Klavier-Präludium aufbaut. Rein musikalisch erinnert sie an `Tomorrow´ vom Erstlingswerk und handelt vom schwierigen Loslassen der Nachfahren. Sehr ergreifend, zumal sich am Ende die besungene Tochter mit „Dad, I know my way“ zu Wort meldet (schnief…). Tolle Idee und ein weiteres aus einer Summe vieler i-Tüpfelchen, das ein rundum gelungenes Album beendet.

Dass auch der Sound wieder oldschool, glasklar und transparent ist, versteht sich beinahe von selbst. Wenn man NESTOR überhaupt so etwas wie einen Vorwurf machen kann, dann den, dass die so erfolgreiche Album-Dramaturgie von Kids In A Ghosttown wirklich 1:1 kopiert wurde und auch Teenage Rebel neben den überwiegenden Midtempo-Rockern wieder auch ein Intro, zwei Balladen und eine Uptempo-Nummer enthält.

Aber so ist das mit dem Geschmack nun mal: was für den einen das Haar in der Suppe ist, ist für den anderen ne Extraportion Eierstich. Ich gehöre zur letzteren Fraktion, sehe keinerlei Qualitätsabfall, sondern vielmehr erneut einen künftigen Klassiker und vergebe völlig gerechtfertigte 95%. Ganz klar das bisherige Album des Jahres, das schwer von seinem Thron zu verdrängen sein wird! Und tatsächlich sehe ich zum Schluss doch eine ordentliche Steigerung: auch das Artwork ist diesmal sehr geschmackvoll. Das Debut in diesem Punkt zu toppen war allerdings auch nicht besonders schwer.

(Ulle – 95%)

 


Ich fange mal ungewöhnlicherweise mit dem Fazit an. Teenage Rebel ist ein tolles Album und trotzdem nicht der erhoffte Knaller! Dennoch reicht es für hochverdiente 86%.

Woran liegt das? Zuerst fiel mir bereits beim ersten Durchlauf der Sound auf. Ich kann mich nicht erinnern in den letzten Jahren so eine perfekte Mischung aus Bombast-Sound und natürlichen Klang der Instrumente gehört zu haben. Ich wüsste tatsächlich nicht, wie man das noch verbessern könnte. Zum anderen ist es natürlich richtig, dass das Songwriting aller erste Sahne ist. Gleich der Opener `We Come Alive‘ und der direkt dahinter platzierte Titelsong knallen schön heavy aus den Boxen und umschmeicheln dich gleichzeitig durch die wunderbaren Gesangsmelodien von Sänger Tobias Gustavsson. Der hat im Übrigen wieder ein extra Lob verdient, da seine Stimme auch schon mal einen nur guten Song wie `Last To Know‘, Àddicted To Love‘ oder `Victorious‘ auf ein schwindelerregendes Niveau hievt. Mich erinnern im Übrigen viele Nummern an die Großtaten (also 80er-Jahre) DEF LEPPARD und BON JOVI. Und erstaunlicherweise können NESTOR wirklich mit diesen Altmeistern konkurrieren und lassen diese bisweilen sogar als zweite Sieger ins Ziel kommen. Als meine beiden Lieblingsstücke von Teenage Rebel haben sich inzwischen das flotte `21‘ und die Power-Ballade `The One The Got Away‘ herauskristallisiert. Das kann sich bei den vielen Hochkarätern auf dem Album aber auch wieder ändern.

Warum gibt es trotz des berichtigten Lobes nur eine Bewertung im 80% Bereich?

Weil ich erstens ständig das Gefühl hatte, dass hier „Dienst nach Vorschrift“ praktiziert worden ist. Zu konstruiert wirkt die aktuelle Liedsammlung auf mich und es wurden zu wenige Blicke nach links und rechts des mit dem Debut eingeschlagenen Weges geworfen. Bei der unbestreitbar hörbaren Klasse der handelnden Musiker muss hier (zweitens) deutlich mehr drin sein, als eine Erfolgsformel zu wiederholen. Wo NESTOR in der Musikgeschichte landen werden, wird wohl erst das magische dritte Album entscheiden. Spaß macht Teenage Rebel natürlich trotzdem.

(Thomas – 86%)

 


Werte Kollegen der Redaktion!

Es ist beinahe schon rührend zu sehen, mit welch jugendlicher Begeisterungsfähigkeit ihr dem aktuellen Output der schwedischen Senkrechtstarter NESTOR entgegengefiebert habt. Wenn man eure Rezensionen zu Teenage Rebel so liest, könnte man glatt den Eindruck gewinnen, dass sich auf dem Plattenteller der heilige Gral dreht. Was mich zu der Vermutung verleitet, dass der Promo-CD vielleicht doch das eine oder andere Bündel schwedischer Kronen beigelegt war, die es augenscheinlich aber nicht bis zu mir geschafft haben.

Aber Spaß beiseite. Ehrlich gesagt konnte ich die Euphorie, die NESTOR mit ihrem Debut Kids In A Ghost Town entfacht haben, nie so ganz nachvollziehen. Und das ändert sich mit ihrem Nachfolgealbum Teenage Rebel auch nur bedingt. Sicherlich, die Scheibe enthält einige sehr ansprechende Songs, viele Reminiszenzen an meine AOR-Helden der Jugend (SURVIVOR, EUROPE, TOTO, NIGHT RANGER) oder aus der Neuzeit Pride Of Lions. Mir persönlich fehlt aber ein wenig Abwechselung und Veränderung im Vergleich zum Vorgängeralbum (aber das will die Fanbase von NESTOR wahrscheinlich auch gar nicht). Man erkennt sofort die typischen NESTOR-Trademarks, Top-Produktion, tragende Keyboardteppiche, ausgefeilte (wirklich tolle !!) Gitarrensoli und natürlich das prägnante Sangesorgan von Tobias Gustavsson. Und über allem schwebt dieser (poppige) 80er-Vibe, den man von vielen Soundtracks aus dieser Zeit kennt. Aber der zündende Funke will bei mir einfach nicht überspringen. Da werden wohl noch einige Durchläufe nötig sein.

Allen Vorbehalten zum Trotz enthält das Album aber natürlich auch für mich seine kleinen und feinen Musikperlen. Da wäre an erster Stelle der Hysteria-Gedächtnis-Song ‚Last To Know‘ zu nennen, der einem mit seiner entspannten Grundstimmung ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Daneben der Titelsong ‚Teenage Rebel‘ mit seinen unverkennbaren NIGHT RANGER-Anleihen und natürlich die an TOTO/SURVIVOR angelehnte Ballade ‚The One That Got Away‘. Wobei gerade die balladesken Töne für mich den Charme von Teenage Rebel ausmachen.

Unter dem Strich muss ich sagen, das Album ist besser ausgefallen als ich es erwartet habe. Ob ich mich in Zukunft dem Enthusiasmus meiner Kollegen anschließen kann, wird die Zeit zeigen. Auf das nächste Album dürfen wir auf jeden Fall gespannt sein. Es freut mich zudem für die Band, dass sich deren Beharrlichkeit über all die Zeit ausgezahlt hat und sie 35 Jahre nach ihrer Gründung diesen grandiosen Erfolg hat. Chapeau.

Hinsichtlich unseres obligatorischen Bewertungswahns vergebe ich für Teenage Rebel solide 80 %. Womit ich sicher am unteren Ende der Skala im Kollegen-Ranking landen werde, aber weit entfernt vom Status eines „Partycrashers“.

Killar, lycka till i framtiden.

(Olaf – 80%)

 


Also, um gleich vorab alle Spekulationen aus dem Raum zu schmeißen. Die AOR Bible wird – solange ich Chefredakteur bin – niemals Kronen, Euro, Pizza, Köttbullar oder irgendwas anderes als Gegenleistung für ein positives Review annehmen. Wir betreiben eine Fan-Seite, mit der wir noch keinen Cent Umsatz gemacht haben – und das wird in Zukunft auch so bleiben. Insofern bin ich Olaf dankbar, dass er das Thema (wenn auch spaßeshalber) aufgegriffen hat, um das mal loszuwerden.

Nun zu Teenage Rebel. Grundsätzlich ist sehr vieles richtig, was die Kollegen oben geschrieben haben, aber nicht alles. Ulle hat den MODERN TALKING-Vergleich ja schon aufgegriffen und er hat recht – dieser Vergleich ist natürlich Kokolores. Der Outro-Refrain – welchen Frank vermutlich meint – ist pures AOR-Gold und wertet das bis dahin eh schon famose ‚Caroline‘ nochmal auf.

Auch lese ich, dass sich das Werk nach „Dienst nach Vorschrift“ anhört. Ich würde eher behaupten, dass sich NESTOR treu geblieben- und über sich hinausgewachsen sind. Natürlich wurde das Rad nicht neu erfunden und Olaf hat auch recht, dass ‚Last To Know‘ Ähnlichkeiten mit ‚Hysteria‘ (dem Song) aufweist und ja, ‚Addicted to Your Love‘ atmet zu jeder Sekunde BON JOVI zu Slippery When Wet-Zeiten. Aber das Ganze ist einfach grandios umgesetzt und jeder Song hat diese gewisse NESTOR-Note, welche die Songs eigenständiger wirken lassen, als man anfangs denkt.

Ich mochte den Vorgänger Kids In A Ghost Town, konnte jedoch die Euphorie, welches dieses Werk entfacht hat nie verstehen. In den letzten Jahren wurden mit Sicherheit spannendere und bessere Alben veröffentlicht. Teenage Rebel begeistert mich dagegen ausnahmslos, wobei… die beiden Balladen hätten sie sich sparen können (was aber vermutlich daran liegt, dass ich kein Balladen-Fan bin) und auch die erste Single-Auskopplung ‚Victorious‘ ist nur Mittelmaß. Der Rest ist aber mit das Beste, was ich in den letzten Jahren hören durfte – daher für mich die bisherige Überraschung des Jahres.

(Rainer – 92%)