Festivalbericht: ROARING THUNDER FESTIVAL, 04.09.2021, Lichtenfels

Setlist
1. Reckoning
2. Check Your Head
3. Stare At The Sun
4. Jawbreaker
5. Go Fuck Yourself
6. Accidentally Intoxicated
7. Weekend Suffering
8. Genie's Got A Problem
9. Everybody Riot
10. Chaos In A Bombshell
11. White Pony
12. S.O.S
13. Borderline Crazy
14. Enemy In Me
15. Sick Adrenaline

THE CRUEL INTENTIONS sind Headliner auf dem „Roaring Thunder Festival“ in Lichtenfels. Vor 2 Jahren hätte mir diese Meldung einen klitzekleinen, freudigen Stoß versetzt, der aber vermutlich nicht ausreichend gewesen wäre, um die 3h Autofahrt plus Hotelübernachtung auf mich zu nehmen. Aber im Jahr 2021 ist ja bekanntlich alles etwas anders. Jeder Strohhalm wird erklommen, um wenigstens ein bisschen Normalität in sein Leben zu bekommen. Und so war dieses Festival tatsächlich mein erstes Live-Konzert seit den diversen Lockdowns und Beschränkungen – meine Frau durfte vor ein paar Wochen immerhin den tollen Auftritt von BROTHER FIRETRIBE in Helsinki beklatschen.

Jetzt sind THE CRUEL INTENTIONS ja nicht unbedingt dafür bekannt klassischen AOR oder Melodicrock zu spielen und wenn man ehrlich ist, dann sind sie mit ihrer dreckigen Attitude sogar meilenweit davon entfernt irgendwas mit diesem Genre zu tun zu haben. Das „Roaring Thunder Festival“ war von Anfang an als Sleaze-Festival geplant und da ich mit Bands wie MÖTLEY CRÜE groß geworden bin und auch die skandinavischen Nachzügler wie CRASHDIET oder HARDCORE SUPERSTAR bei mir immer ein Stein im Brett hatten, war es damit auch beschlossen, dass dieses Festival meine Live-Wiedergeburt werden sollte.

The Cruel Intentions

THE CRUEL INTENTIONS sind seinerzeit aus VAINS OF JENNA hervorgegangen und haben mit Ihrem 2018er Debüt No Sign Of Relief das für mich beste skandinavische Sleaze Metal-Album seit mindestens 10 Jahren abgeliefert. Und dass die Band auch (und vor allem) auf der Bühne zuhause ist, durfte ich bei Ihrem genialen Auftritt 2019 im Harry B. James in Stockholm erleben. Auch die Tournee als Support von CRASHDIET blieb mir äußerst positiv im Gedächtnis, insofern war die Vorfreude auf Lichtenfels riesengroß. Begleitet wurde das norwegisch/schwedische Quartett von den Landsleuten SCUMBAG MILLIONAIRE aus Göteborg, den Italienern von SPEED STROKE, ERECTION aus Regensburg sowie den lokalen MONKEY CIRCUS.

Jetzt mag der Ortsunkundige sich fragen, warum zum Teufel das Festival denn in Lichtenfels und nicht in einer der deutschen Metropolen stattfindet? Hierzu muss man sagen, dass Lichtenfels in Sachen Sleaze/Glam/Poser Metal durchaus zur Metropole gehört. Sebastian Alsdorf hat sich mit seiner kleinen Bar „Paunchy Cats Inn“ mittlerweile sowohl bei Musikern als auch bei Fans einen immens guten Ruf erarbeitet

Scumbag Millionaire

und präsentiert in seinem Club regelmäßig Livekonzerte und veranstaltet auch immer wieder Festivals in der fränkischen Kleinstadt. An dieser Stelle muss man Sebastian dann auch ein Riesenkompliment machen, dass er den Mut aufgebracht hat, in diesen unsicheren Zeiten ein Festival zu planen und organisieren, bei dem man im Vorfeld genau wusste, dass die Auftritte pandemiebedingt auf wackligen Beinen stehen. Zum Zeitpunkt der Planung konnte keiner ahnen, ob und in welcher Form das Event stattfinden kann. Letztendlich wurden im Vorfeld 200 Tickets genehmigt und verkauft. Aufgrund der zum Zeitpunkt des Festivals gültigen Maßnahmen konnten dann nochmal 50 zusätzliche Tickets an den Mann/die Frau gebracht werden.

Natürlich sind 250 zahlende Zuschauer nicht viel, aber es ist ausreichend, um einfach mal wieder ein Zeichen zu setzen, dass die Kultur und insbesondere unsere Szene lebt und um nichts anderes ist es dem Inhaber des „Paunchy“ mit Sicherheit dabei gegangen. Und schon beim Durchschlendern der Innenstadt vor Festivalbeginn konnte man das ein- oder andere langhaarige

Grüppchen sichten. Aus den Autoradios hörte man Metal und auch Bandshirtträger und Turbojugend-Kuttenträger (die später übrigens einen nicht gerade kleinen Anteil des Festivalpublikums ausmachen sollten) prägten den Stadtkern. Das alles live und nicht auf der Mattscheibe – ein unbeschreibliches Gefühl. Aber man hatte auch das Gefühl, dass die Einheimischen glücklich waren, wieder das gewohnte Stadtbild zu sehen und dazu gehören in Lichtenfels auch die Metal-Fans.

Die Location selbst bestand aus einer kleinen Bühne, Bierbankgarnituren und Liegestühlen – alles in einem kleinen Seitenarm der Fußgängerzone. Jeder Festivalteilnehmer bekam seinen festen Platz zugewiesen – genau wie es der Gesetzgeber vorschreibt. Und so ganz schlecht finde ich diese Handhabe

Speedstroke

gar nicht, da man seinen garantierten Platz auch dann bekommt, wenn man etwas später zum Festival aufschlägt – wie es auch bei uns der Fall war. Wahrscheinlich haben wir die Vorfestival-Atmosphäre zu sehr genossen, so dass wir den Auftritt von ERECTION verpasst hatten. Die Lokalmatadoren von MONKEY CIRCUS passten mit ihrem Classic Rock im Anschluss als einzige Band musikalisch nicht unbedingt ins Billing, allerdings war das Trio der perfekte Appetizer, um mit der Location vertraut zu werden. Und die Ruhe vor dem Sturm kann manchmal auch ein sehr wohliges Gefühl verbreiten.

Apropos wohliges Gefühl: Selten (oder gar nie) zuvor habe ich ein so ausgelassenes, freundliches und aufgeschlossenes Publikum auf einem Festival erleben dürfen. Natürlich mag das auch der übersichtlichen Anzahl der Gäste geschuldet gewesen sein und die Pandemie hat vermutlich bei allen ein soziales Defizit hinterlassen. Trotzdem fühlte man sich einfach wohl, ähnlich wie auf der Couch zuhause oder zusammen mit den Kumpels beim Bier in der Lieblingskneipe – mit dem Unterschied, dass man auf einem Festival war, bei dem sich jede einzelne Band den Hintern abspielte.

Mit Erscheinen der SCUMBAG MILLIONAIRS war dann aber auch ganz schnell Schluss mit der Ruhe. Von wegen Sturm! Ein gewaltiger Orkan blies von Göteborg nach Lichtenfels und von da an übernahm die Glückseligkeit ihren Lauf. Die Energie auf der Bühne übertrug sich sofort aufs Publikum, das jetzt nicht mehr in der Me

hrzahl auf Ihren Bierbänken verharrte, sondern immer häufiger einen Platz vor der Bühne suchte. SPEED STROKE lockten noch mehr Besucher aus Ihrer Comfortzone und es kam tatsächlich etwas „alte“ Festivalatmosphäre auf. Die Band sprühte allerdings auch vor unbändiger Spielfreude und Sänger Jack war dann auch der aktive Mittelpunkt der Show. Und dann wurde es spannend. Konnten THE CRUEL INTENTIONS diese Energie noch steigern?

The Cruel Intentions

Würden sie in der Lage sein, die Qualität ihrer Live-Auftritte vor 2 Jahren zu halten? Ist das Publikum überhaupt noch fähig, eine weitere Band so enthusiastisch aufzunehmen? Nach einem Intro und dem Hit ‚Reckoning‘ von Ihrem Debüt waren alle Zweifel über den Haufen geschmissen. Die Dynamik wurde sofort 1:1 ans hungrige Publikum durchgereicht und keinen hielt es mehr auf seinem Sitzplatz. Man hatte das Gefühl, dass 1,5 Jahre

The Cruel Intentions

Konservenkonsum Ihren Weg nach draußen bahnen musste. Die Energie entlud sich in eine so dermaßen positive Stimmung, dass jeder infiziert wurde. Die Songs flossen ineinander über und man wollte nur eins nicht: dieser Auftritt, dieses Festival, diese Nacht sollte niemals enden! Den Schlusspunkt setzten dann aber doch der VAINS OF JENNA-Hit ‚Enemy in Me‘, sowie die CRUEL INTENTIONS-Hymne ‚Sick Adrenaline‘.

Man kann Sebastian nur danken und gratulieren, dass sein Wagnis mit diesem Festival aufgegangen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Ganze finanziell gelohnt hat, aber immerhin er hat es geschafft einen Abend zu veranstalten, den 250 Menschen mit Sicherheit niemals vergessen werden.

The Cruel Intentions