FREE SPIRIT – All The Shades Of Darkened Light

Label
Carpel Music Oy
Erscheinungsjahr
2014
Tracklist
01. Nights Of Paradise
02. Living Tattoo
03. Hysteria
04. Ever Come True
05. The Dew On The Rose
06. Turn On The Night
07. Burning Love
08. Carry On
09. Fever
10. Silence
11. Storyline
Line-Up
Sami Alho – Lead & Backing Vocals
Marko Haapamäki – Guitars
Vesa Yli-Mäenpää – Guitars, Backing Vocals
Timo Alho – Keyboards
Sami Hämäläinen – Bass
Pasi Koivumäki – Drums, Percussion
Unsere Wertung
98
98

Das zweite Album der Finnen FREE SPIRIT namens All The Shades Of Darkened Light ist eine der selten gewordenen Entdeckungen, über die ich noch in einem CD-Laden einer norddeutschen Großstadt beim Stöbern rein zufällig gestolpert bin und die zur Liebe auf den ersten Ton avanciert ist. Wahrscheinlich hat zuerst das klischeehafte Cover Interesse bei mir geweckt, weil es typisch amerikanischen Hairmetal versprach: eine Strandkulisse in der Abenddämmerung, die sich in einer von einer aufgebrezelten Lady getragenen Sonnenbrille spiegelt. Eher klischeehaft als originell, aber schick und passend zum Albumtitel. Auch Songtitel wie ‚Carry On‘, ‚Burning Love‘ oder ‚Turn On The Night‘ riechen geradezu nach Haarspray.

Die Rückseite der CD enthält außer den 11 Songtiteln nur noch den Hinweis auf das mir völlig unbekannte Label „Carpel Music“, weshalb ich meine Erwartungen an Sound und Produktion erst einmal deutlich heruntergeschraubt hatte. Ein schlechter Sound ist neben einem für meine Ohren nervigen Sänger ein K.O.-Kriterium für mich, denn beides verdirbt mir den Hörgenuss – da könnten dann auch gute Songs nichts mehr rausreißen. Den dritten Song des Albums hat die Band zwar ‚Hysteria‘ getauft, aber DEF LEPPARD´s Jahrhundertalbum erschien bei einem sehr viel zahlungskräftigeren Majorlabel, das sich den weltbesten Produzenten leisten konnte. Eine Chance wollte ich dem Album dennoch geben und musste wenig später feststellen, dass meine niedrigen Erwartungen selten so unberechtigt gewesen waren wie hier.

Gleich der Album-Opener ‚Nights Of Paradise‘ gibt den roten Faden vor, der das ganze Album durchzieht: lupenreiner, hochmelodiöser AOR mit fetten Chören und fast perfektem Sound, der dann tatsächlich an DEF LEPPARD erinnert, diese aber nie kopiert. Dafür sorgen allein schon Keyboarder Timo Alho, der sowohl mit schönen Soundteppichen als auch mit typischen 80er-Fanfaren überzeugen kann, und sein Bruder Sami Alho am Gesang. Dieser hat zwar eine ebenso fast vibratofreie und im Umfang begrenzte Stimme wie Joe Elliott, teilt aber auch dessen große Stärke: eine unverwechselbare Stimmfarbe, die man unter Tausenden heraushört und die der Band ihre Portion Eigenständigkeit verleiht.

Starke Parallelen zu den gehörgehandicapten Großkatzen der Hysteria-Ära gibt es bei der Gitarrenarbeit von Marko Haapamäki und Vesa Yli-Mäenpäa, die ebenso wenig die Riffkeule auspacken, sondern die Melodieführung sparsam, aber äußerst effizient unterstützen, während die verzerrten Akkorde eher gediegen im Hintergrund bretzeln. Für den geübten Headbanger mag dies zu unspektakulär sein, für den AOR-Jünger ist es aber die pure Essenz seiner musikalischen Präferenz, denn dadurch lenkt nichts von den einfach großartigen und immer hochmelodischen Songs ab, die FREE SPIRIT zustande gebracht haben. Das Repertoire reicht dabei von gute Laune-Rockern (besagter Opener ‚Nights In Paradise‘) über rhythmische Stampfer (‚Living Tattoo‘) bis hin zu ans Herz gehenden Balladen (‚Silence‘) und ist somit abwechslungsreich genug, um für die volle Albumläge von rund 44 Minuten zu fesseln.

Trotz genretypischer 08/15-Akkordfolgen (z.B. bei ‚Hysteria‘ oder dem Rausschmeißer ‚Storyline‘ – ‚Don´t Stop Believing‘, ick hör Dir trapsen) schaffen es FREE SPIRIT, ihre Songs durch interessante Arrangements (Talkbox bei ‚Burning Love‘ – herrlich!), Tempiwechsel oder Breaks spannend zu gestalten, ohne dass dies gewollt klingt oder gar überladen wirkt – alles passt wie die Faust aufs Auge (man darf hier ruhig noch den Song ‚Fever‘ erwähnen, der meiner Meinung nach – nicht nur wegen dem kurzen aber extrem wirkungsvollen Gitarrensolo – ein fast unerreichtes Genre-Highlight der letzten Jahre darstellt – Rainer). Typisch für viele finnische Bands ist auch dieser Hauch von Melancholie, der oftmals mitschwingt und der sich auch in den Texten widerspiegelt.

Der einzige Grund für die ganz knappe Verfehlung der Höchstnote ist der etwas sterile Sound der Drums, die von Pasi Koivumäki für meinen Geschmack auch etwas reichlich zurückhaltend bedient werden (ich bin mir auch nicht sicher, ob manchmal nicht sogar Angelo Sasso seine Finger bzw. Platinen im Spiel hatte). Innerhalb der Rhythmusgruppe hat Sami Hämäläinen klar die Hosen an, der immer wieder tolle Bassläufe abliefert und dadurch deutlich stärker auffällt.

All The Shades Of Darkened Light erschien bereits im Jahre 2014 und war eine deutliche Steigerung zum ersten Album Pale Sister Of Light aus dem Jahr 2009, das zwar ebenfalls hochwertig ausfiel, in dem FREE SPIRIT aber noch nicht derart aus einem Guss klangen wie auf ihrem Zweitling. Ein drittes Werk ist bereits seit einigen Jahren angekündigt, und ich hoffe sehr, dass die Herren aus Finnland damit endlich in die Pötte kommen. Ich bin auch nach acht Jahren immer noch hellauf begeistert und vergebe 98% für ein Album, das den Status „Klassiker“ absolut verdient hat.