HOUSTON – Relaunch III

Label
Frontiers
Erscheinungsdatum
14.07.2023
Tracklist
1. Live Forever
2. Slipping Away
3. Power Over Me
4. Heart Of Stone
5. She Don't (Come Around Anymore)
6. Do You Believe
7. She's Out With A Gun
8. Modern Day Delilah
9. Sound Of A Breaking Heart
10. Outrageous
11. Running Back
12. Live Forever (80’S Remix)
13. Do You Believe (80’S Remix)
Line-Up
Hank Erix – Lead and background vocals
Carl Hammar – Lead guitar
Richard Hamilton – Keyboards, Piano
Niels Walter – Bass guitar
Erik Modin – Drums, Percussion, keyboards, backing vocals, rhythm & acoustic guitars
Michael Palace (Backing vocals & rhythm guitars on “Live Forever” & “Do You Believe”)
Unsere Wertung
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Im Grunde gibt es zwei Möglichkeiten bei der Herangehensweise eines Cover-Songs oder eines kompletten Cover-Albums. Entweder man versucht, bekannte Songs neu zu arrangieren, um zu zeigen, dass das Original auch in einem anderen, eventuell genrefremden Bandkontext funktionieren kann. Oder aber man greift sich Songs, die – aus welchen Gründen auch immer – nie einen hohen Bekanntheitsgrad erreichten, obwohl sie qualitativ durchaus Potential zu Hits gehabt hätten. HOUSTON gehen auf ihrem mittlerweile dritten Coveralbum Relaunch III eher den zweiten Weg – und greifen dazu bei der Auswahl der Originale ganz tief in die AOR-Schatzkiste.

Verirrte sich auf dem zweiten Relaunch-Album der Stockholmer noch artfremdes Material von Künstlern wie ONE REPUBLIC oder LADY GAGA, so gibt es auf Relaunch III ausschließlich die AOR-Vollbedienung, welche durch zwei eigene neue HOUSTON-Songs ergänzt werden: Das vorab ausgekoppelte, von Michael Palace verfasste ‚Live Forever‘ besticht durch einen latenten Westcoast-Touch und wird durch eine unwiderstehliche Gitarrenmelodie von Los Angeles über das Death Valley bis San Diego getragen. ‚Do You Believe‘ hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel, wurde aber auf noch keinem HOUSTON-Album veröffentlicht – der melodische Ohrenschmeichler hätte auf jeden Fall auch auf dem überaus starken letzten Studioalbum Houston IV eine blendende Figur abgegeben.

Bei den restlichen neun Songs handelt es sich wie bereits erwähnt um Nummern aus dem AOR-Umfeld – und zwar ausschließlich um solche, deren Bekanntheitsgrade nie im Verhältnis zur Songqualität stand. Nach der oben erwähnten HOUSTON-Bombe ‚Live Forever‘ geht es mit MARC JORDAN‘s ‚Slipping Away‘ gleich in die Vollen. Unglaublich, wie die Band um Hank Erix den Spirit des 1983 veröffentlichten Songs einfängt. Die Nummer wirkt wegen seines sehr relaxten Refrains anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, entfaltet aber nach mehrmaligem Hören extremes Suchtpotential.

ATLANTIC veröffentlichten 1994 mit Power das für mich beste AOR-Album der letzten 30 Jahre. Der Quasi-Titelsong ‚Power Over Me‘ ist ein absoluter Meilenstein unseres Genres und es gibt tatsächlich immer noch Melodicrocker, die weder die Band noch diesen Göttersong kennen. Man möge hoffen, dass sich mit der Neuaufnahme auf Relaunch III dieser Umstand schnell ändert. Sehr nah am Original, versuchen HOUSTON erst gar nicht, dem Song neue Ideen hinzuzufügen und huldigen mit ihrer Version einfach nur dem kurzen Schaffen dieser Kult-Band.

Wer weiß eigentlich, dass MICHAEL BOLTON vor seiner immens erfolgreichen Solokarriere eine eigene Band hatte? BLACKJACKs ‚Heart Of Stone‘ aus dem Jahre 1979 ist ein Grenzgänger, der sowohl 70er-Classicrock als auch AOR-Elemente vereint. JOURNEY und FOREIGNER, sowie der Sänger selbst (hauptsächlich auf Everybody’s Crazy), nehmen später genau diese melodischen Zutaten des Songs, um ein Millionenpublikum zu begeistern. HOUSTON drehen den Song dann nochmal etwas mehr auf Richtung AOR, wenngleich der raue Refrain genauso knackig klingt wie ihn BLACKJACK seinerzeit erdachten.

Ein Millionenpublikum wollte DAVID PACK mit seinem 1985 veröffentlichten Album Anywhere You Go auch erreichen. Dem optisch ganz auf Miami Vice getrimmten Werk fehlte es aber etwas an Biss und songschreiberischer Finesse, um in Regionen zu wildern, welche u.a. von SURVIVOR oder FOREIGNER bereits fest eingenommen schienen. Nichtsdestotrotz war ‚She Don’t (Come Around Anymore)‘ ein samtiger Rocker mit einem herzzerreißenden Refrain. Die HOUSTON-Version ist zum einen um einiges druckvoller als das Original. Zum anderen singt Hank Erix diese vergessene Perle schlicht und einfach besser als DAVID PACK, dessen teilweise sehr hohe Stimmlage mit Sicherheit seinerzeit nicht jeden Nerv getroffen haben dürfte.

Machen wir uns nichts vor: Das Debüt von VAN ZANT (ebenfalls aus dem Jahre 1985) ist eine der besten AOR-Scheiben überhaupt. Sänger und Namensgeber Johnny Van Zant kennt man von LYNYRD SKYNYRD, was zur Folge hatte, dass man diese Scheibe – wie auch die ein Jahr zuvor erschiene AOR-Offenbarung Tour De Force der Südstaatler 38 SPECIAL – gerne in die Southern Rock-Ecke stellte. Dort ist sie aber vollkommen fehl am Platz. Hier reiht sich ein AOR-Hit an den nächsten und vielleicht ist das hier gecoverte ‚She’s Out With The Gun‘ tatsächlich der größte Clou von VAN ZANT – und HOUSTON halten sich zum Glück fast schon akribisch am Original.

Dem leider viel zu früh verstorbenen VAN STEPHANSON ereilte das gleiche Schicksal wie oben genannten MARC JORDAN. Beide hatten als Solokünstler nicht den erhofften Riesenerfolg und wechselten später die Seiten, um als Songschreiber für andere Künstler tätig zu werden. Immerhin warf VAN STEPHANSON’s Zweitwerk Righteous Anger einige Top200-Billboard-Nummern ab. Sein erfolgreichster Song ‚Modern Day Delilah‘ knackte sogar die Top-25. Man durfte auf die Version von HOUSTON gespannt sein, weil sich die Stimmen von VAN STEPHANSON und Hank Erix doch sehr stark unterscheiden. Und tatsächlich findet der HOUSTON-Sänger genau das richtige Feeling und in manchen Passagen meint man, VAN STEPHANSON würde dem Schweden unter die Arme greifen – atemberaubend.

‚Sound Of A Breaking Heart‘ war seinerzeit ein kleiner MTV-Hit für die US-Amerikaner PROPHET. Man kann darüber diskutieren, ob diese Nummer tatsächlich der beste Song auf Cycle Of The Moon, dem zweiten PROPHET-Album ist. Meiner Meinung nach hatten sowohl der Titelsong als auch ‚Can’t Hide Love‘ die Nase vorne. Im HOUSTON-Kontext war natürlich die Auswahl des AOR-lastigsten aller PROPHET-Songs ein logischer Schritt.

Jedes Kind kennt zwei Songs von FRANKE AND THE KNOCKOUTS: ‚Hungry Eyes‘ und ‚I’ve Had The Time Of My Life’ – beide Nummern wurden später durch Eric Carmen, respektive Bill Medley und Jennifer Warnes im Blockbuster Dirty Dancing zu Welthits. Natürlich haben sich HOUSTON nicht diese enorm erfolgreichen Nummern gegriffen, sondern veredeln hier den Opener ‚Outrageous‘ von FRANKE AND THE KNOCKOUTS‘ letztem Studioalbum aus dem Jahre 1984.

‚Running Back‘ von (den US-amerikanischen und nicht kanadischen) URGENT war in den 80er Jahren immer ein Garant für volle Tanzflächen in diversen Rockdiscos im süddeutschen Raum. Der Song mit seiner ikonischen Keyboardmelodie passt wahrscheinlich am wenigsten in den HOUSTON-Kosmos und trotzdem meistern die Schweden auch diese Herausforderung brillant und stellt einen würdigen Abschluss von Relaunch III dar.

Ich bin wahrlich kein großer Freund von Cover-Songs aber vor dieser Auswahl an unwiderstehlichen und größtenteils eher unbekannten Klassikern muss man ganz klar den Hut ziehen. Und wenn die Songs dann auch noch mit so viel Herzblut genial eingespielt und eingesungen werden, dann kommt man nicht drum herum, von einem Pflichtkauf zu sprechen.