Konzertbericht: Indoor Summer Festival 2022

Das INDOOR SUMMER Festival hat sich innerhalb von 5 Jahren zum Mecca für Melodicrock-Fans gemausert. Coronabedingt musste die Veranstaltung 2020 und 2021 ausfallen, so dass wir es nun im Jahr 2022 erst mit dem 3. INDOOR SUMMER in Hamburg zu tun haben. Erfreulicherweise hat sich das ursprüngliche Billing von 2020 nicht grundlegend geändert. O.k., CONEY HATCH und PAUL LAINE hätten viele mit Sicherheit gerne live gesehen und der anfangs noch geplante ANDY TAYLOR ist auch von der Setlist verschwunden, aber dafür krempelte eine “Ersatzband” die Hamburger Markthalle einmal komplett um – doch dazu später mehr.

Die AOR Bible war für Euch mit Rainer, Ulle und unserem neuen Fotografen Stephan vertreten. Im nachfolgenden wird sich Rainer um den Samstag und Ulle um den Sonntag kümmern. Stephan kämpfte im Fotograben von Freitag bis Sonntag um die besten Positionen. Dass er als einer der Gewinner aus dem Ring stieg, könnt Ihr an unseren Fotos in der Gallery sehen.

Gallery Freitag

Gallery Samstag

Gallery Sonntag

 

Das Festival selbst begann für die VIPs bereits am Freitag mit einigen Special Sets und Akustikauftritten, wobei von der AOR Bible – wie bereits erwähnt – nur Stephan vor Ort war. Der Samstag war für uns dann auch der Tag der Anreise. Mit Anita vom H.E.A.T- Streetteam und Peter von MunichsHardestHits – dem wohl besten AOR/Melodicrock-Radiosender überhaupt – gings mit dem Flugzeug von München direkt nach Hamburg. Obwohl meine Frau und ich uns dann gleich mal vom Flughafen zum Hotel mit den Öffentlichen total verfahren hatten (2 Bayern in Hamburg halt), kamen wir dennoch fast rechtzeitig zum ersten regulären Gig des Festivals.

 

SAMSTAG: (Link zur Fotogallerie)

CAPTAIN BLACK BEARD bezeichnen ihre Musik gern als „Disco-AOR“ und tatsächlich ist diese Beschreibung nicht ganz unzutreffend, da z.B. durchaus Parallelen zum NIGHT FLIGH ORCHESTRA bestehen – und das sowohl musikalisch als auch optisch: Sänger Martin Holsner trägt wie TNFO-Sänger Björn Strid eine … naja, sagen wir mal in Hardrockkreisen eher ungewöhnliche Kopfbedeckung. Andererseits zieht man damit natürlich auch die Blicke auf sich, was in Hamburg für einen Opener überraschend gut gelang. Die Location war für 14:00 auch schon gut gefüllt und diverse „hey hey hey“-Chöre der ausgehungerten Rock-Fans nahm die Band sichtlich dankend auf. Man konnte jetzt schon erahnen, dass sich das später noch steigern würde.

Die nachfolgenden CREYE hatte ich seinerzeit beim letzten Rockingham zum ersten und bislang einzigen Mal live gesehen. Die Schweden waren 2018 in England so stark, dass sie nach ihrem Gig innerhalb von 30 Minuten ihren kompletten CD-Bestand am Merch-Stand abverkaufen konnten. Der Einstieg in Hamburg war dann auch wundervoll: ‚Siberia‘ vom aktuellen Album II mag für die Anhänger harter Rockmusik arg poppig klingen, aber ich liebe den Song. Schwerpunkt des Sets war dann auch diese immer noch aktuelle Scheibe, welche ich immer noch für eines der besten AOR-Alben der letzten Jahre halte. Vom Debütalbum kam immerhin der absolute Knaller ‚Holding On‘ zum Zuge. Die Band ist musikalisch 1A und besonders Gitarrist Andreas Gullstrand hätte man gern noch länger zugehört. Einzig das Stageacting von Frontmann August Rauer (neuerdings langhaarig) hätte man sich etwas aktiver gewünscht und ‚Christina‘ vom Debüt hätte es auch gerne noch sein dürfen.

Stehen CREYE für den keyboardorientierten, modernen Melodicrock, so sind DEGREED eher das Gesicht des rifforientierten, härteren AOR an der Grenze zum Hardrock/Metal. In den letzten 2 Jahren lief bei mir keine Band häufiger im Auto oder zuhause, weil alle Alben der Schweden extrem abwechslungsreich sind und deshalb zu keiner Zeit langweilig werden. Beim H.E.A.T Festival 2019 waren DEGREED sehr überzeugend, wobei ein Großteil des Publikums damals etwas überfordert vom nicht immer „Easy-Listening“-Material der Stockholmer schien. Heute ist das anders: Der Einstieg mit ‘Into The Fire’ vom aktuellen (und auch zugänglichsten) DEGREED-Album war brillant gewählt. Und die Band war tatsächlich „On Fire“! Bandleader Robin Eriksson sah bereits nach einem Song aus, als wäre er eben aus der Alster gestiegen und auch alle anderen Bandmitglieder gaben alles. Vielleicht sogar zu viel, da beim zweiten Song der Gitarren-Amp abrauchte. Nach einer kurzen Pause gings weiter. Die Songauswahl war meiner Meinung nach ebenfalls perfekt – es wurden Songs von sämtlichen Alben gespielt – und ja, ‚Radio‘ wäre auch noch irgendwie geil gewesen, aber man kann nicht alles haben. Daumen hoch und außerdem brauchte ich jetzt dringend eine Trink- und Erholungspause.

Ja, eigentlich. Aber, dass man sich ausgerechnet bei den nachfolgenden NESTOR keine Pause gönnen kann, dürfte jedem klar sein. Warum ausgerechnet NESTOR mit ihrem Album Kids In A Ghost Town den AOR wieder salonfähig gemacht haben, ist mir zwar nach wie vor ein Rätsel (ja, das Album ist sehr gut, aber den absoluten Überflieger sehe ich darin auch nicht) – aber mir, und vor allem den 1.000 Fans in der Markthalle soll der Hype, den die Band entfacht hat recht sein. Zum ersten Mal war die Halle brechend voll und ich war durchaus skeptisch, ob die Schweden im Hexenkessel der AOR-Freaks auch live bestehen können. Ganz in weiß gekleidet stürmten die Mannen um Frontmann Tobias Gustavsson die Stage und beim ersten Ton von ‚On The Run‘ brachen dann auch sämtliche Dämme.

Selten habe ich eine großartigere Stimmung bei einem AOR-Konzert erlebt. Und die Fans feierten die Band zurecht. Vom Stageacting über die musikalischen Fähigkeiten bis zum großartigen Gesang – hier stimmte einfach alles. Witzigerweise hielten sich die Schweden auch bei den Songs exakt an die Reihenfolge des Albums. ‚It Ain’t Me‘, ‚We Are Not Ok‘ und ‚Tomorrow‘ blieben unberücksichtigt, dafür kam sowohl die neue Single ‚Signed In Blood‘ als auch – Achtung! –  eine Coverversion von WHITNEY HOUSTONs ‚I Wanna Dance With Somebody‘. Jede andere Band wäre mit diesem Song (bestenfalls) mit Nichtbeachtung bestraft worden. Nicht so bei NESTOR. Sie wurden gefeiert, als ob es keinen morgen gibt. Ja, wie oben schon erwähnt, bin ich nicht der allergrößte NESTOR-Fan, aber die Rakete, welche die Band hier und heute gezündet hat – das war schon sehr beeindruckend.

Nach diesem Ereignis war erstmal kollektives Luftschnappen angesagt und MAVERICK hatten die undankbare Aufgabe direkt nach NESTOR zu spielen. Undankbar deshalb, weil es beinahe unmöglich war, dieses Level auch nur ansatzweise halten zu können und zudem leerte sich die Halle merklich. Nichtsdestotrotz legten MAVERICK einen blitzsauberen Gig hin. Ich habe die Band schon einige mal live gesehen und schlecht waren die Nordiren nie, aber heute hatte man das Gefühl, dass sie zeigen wollten, dass es auch ein Leben (und andere Bands) nach NESTOR gibt. Besonders Sänger Dave Balfour ist im Laufe der Zeit zu einem überaus guten und sympathischen Frontmann gereift und so konnte die Band während des Gigs die Markthalle wieder etwas füllen – der Auftritt hätte trotzdem mehr Zuschauer verdient.

So leid es mir für GOTTHARD tut, aber seit dem tragischen Unfall von Steve Lee ist die Band für mich nur noch ein Schatten ihrer selbst. Steves Nachfolger Nic Maeder mag stimmlich eine gute Figur machen, aber die Ausstrahlung und Frontmannqualitäten dieser Ikone kann man nicht reproduzieren. Insofern ging ich dann auch ohne jegliche Erwartung in den Gig von CORE LEONI – dem Side-Project von GOTTHARD-Gitarrist Leo Leoni, in welchem er seine Liebe zu den alten GOTTHARD-Songs wieder voll auslebt. Und tatsächlich entwickelte sich der Auftritt zu einer riesengroßen Überraschung. Logischerweise konnte man mit Klassikern wie ‚Standing In The Night‘, ‚Firedance‘ oder ‚Mountain Mana‘ rechnen und auch nichts groß falsch machen, aber mit welcher Inbrunst diese Songs – vor allem von Sänger Eugent Bushpepa – dargeboten wurden war dann schon erstaunlich. Da war Feuer und Energie auf der Bühne und der überaus sympathische Frontmann hatte tatsächlich einen Steve Lee-Vibe in seiner Stimme – ohne wie eine farblose Kopie zu wirken. Ich habe nach den zwei Tagen in Hamburg Publikumsstimmen vernommen, die sogar vom besten Auftritt des Festivals sprachen. Alle Daumen nach oben.

Danach sollten eigentlich CRASHDIET auftreten, die aber gesundheitsbedingt leider kurzfristig nicht nach Hamburg kommen konnten und so musste Veranstalter Oliver Lange ganz tief in die Trickkiste greifen. An dieser Stelle geht ein besonderer Dank an Oliver, der uns allen ein unvergleichliches Wochenende beschert hat. KEE MARCELLO war dann derjenige, der aus dem Zauberhut gesprungen ist – und leider mit der Rolle des Co-Headliners überfordert war. Die Songs des Schweden mochten einfach nicht zünden und insgesamt wirkte die Band holprig und alles andere als homogen. Klar, dass das natürlich der Kurzfristigkeit des Auftritts geschuldet ist und man muss KEE MARCELLO danken, dass er sich bereiterklärt hat, diese Aufgabe zu übernehmen. Kurios war auch, dass sogar EUROPE-Standards wie ‚Superstitious‘ oder ‚Rock The Night‘ seltsam uninspiriert und schlapp daherkamen. Highlight waren die 2 männlichen Backgroundsänger, welche man sich von der Hamburger Glam Metal Band NIGHT LASER ausgeliehen hat und die mit Ihrer Leidenschaft die Hauptakteure meilenweit überstrahlten.

Und dann kamen H.E.A.T. Ihr findet auf unserer Seite ja schon einige Konzertreviews seit Kenny Leckremo das Mikro wieder von Erik Grönwall übernommen hat und insofern war klar, dass es auch hier beim INDOOR SUMMER wieder voll auf die 12 gibt. Immer wieder überraschend, dass die Band ihr Set ausschließlich mit Songs der Grönwall-Phase beginnt. Die drei Highlights des vorletzten Albums II ‚One By One‘, ‚Rock Your Body‘ und ‚Dangerous Ground‘ machten den Anfang, ehe man mit ‚Emergency‘ noch ein paar Jahre weiter zurückging. Es ist einfach immer wieder unfassbar, welche Energie hier auf der Bühne freigesetzt wird. Kenny Leckremo läuft und springt von einer Seite zur anderen, was beim ein- oder anderen Fotografen im Fotograben mit Schulterzucken zur Kenntnis genommen wurde – zusätzlich in rotem Licht getaucht war es eine Herausforderung den Frontmann überhaupt im Bild festzuhalten. Aber auch die anderen Bandmitglieder überzeugten vollständig und wurden vom Hamburger Publikum zurecht euphorisch abgefeiert. Sogar dem sonst sehr zurückhaltend wirkenden Gitarrist Dave Dalone entwich das ein- oder andere Grinsen. Weiter gings im Set mit ‚Redefined‘ vom nicht restlos überzeugendem Into The Great Unknown-Album sowie der ersten „Kenny-Nummer“. ‚Hollywood‘ ist eine Hardrock-Hymne vor dem Herrn und kommt live noch eine Spur knackiger als auf der (eh schon überragenden) Studiofassung. ‚Straight For Your Heart‘ und ‚Late Night Lady‘ vom Debüt (für mich immer noch das beste H.E.A.T-Album und eine der besten AOR-Scheiben der Neuzeit) beglückten dann auch Fans der ersten Stunde, ehe das Publikum mit ‚Come Clean‘ und ‚Back To The Rhythm‘ wieder ins Hier und Jetzt katapultiert wurde. ‚Beg Beg Beg‘ vom zweiten H.E.A.T-Album brachte das Publikum dann erneut zum Ausrasten (auch weil Kenny Leckremo bei dem Song wie ein Flummy-Ball über die Bühne sprang) und mit ‚Cry‘ folgte dann der emotionale Höhepunkt. Klar, dass der Single-Hit ‚1.000 Miles‘ ebenso wenig fehlen darf wie ‚Living On The Run‘, welcher für viele Fans der beste Song der Schweden überhaupt ist. Der Schluss ist dann wieder magisch: Nach ‚Nationwide‘ intoniert Kenny das Intro zu ‚A Shot At Redemption‘ beinahe schon quälend lang und als der Song dann losgeht gibt es kein Halten mehr bei den Fans. Mal wieder ein überragender Auftritt der Schweden.

– Rainer –

 

SONNTAG (Link zur Fotogallerie) – ab hier übernimmt Ulle:

Jo, Moin tosamen! Los ging es für mich am Sonntag “aus Gründen” erst mit den Schweden ELECTRIC BOYS, die mit ihrem von Produzentenlegende Bob Rock bearbeitetem Debut bereits 1990 weltweite Achtungserfolge feiern konnten. Mit ihrem rhythmischen, manchmal gar etwas funkigen Rock’n’Roll stand ihnen zwar ein Exotenbonus auf einem AOR-Festival zu, hatten es aber auch dementsprechend schwer, anfangs mehr als Höflichkeitsapplaus vom Publikum zu ernten. Außerdem wirkte Frontman Conny Blomqvist aka Conny Bloom auf mich etwas lustlos, und eine Bühne ohne Backdrop mit Bandlogo wirkt zudem etwas leer und unfertig. Mit ihrem den Gig abschließenden Hit ‘All Lips ‘n’ Hips’ wurde es aber doch noch etwas lauter in der altehrwürdigen Markthalle, sodass die Musiker letztendlich zufrieden die Bühne verlassen konnten.

Auf das schwedische Ensemble GATHERING OF KINGS war nicht nur ich äußerst gespannt. Durch die Vielzahl der eingesetzten Sänger hatten die drei bisher erschienenen CD’s eher einen Projektcharakter, was für mich trotz teilweise grandioser Songs ein kleiner Makel ist. Zu meiner Überraschung wirkten aber auch live tatsächlich vier Sänger mit, die zu etwa gleichen Teilen zum Einsatz kamen und auch für packende Background-Vocals sorgten. Am bekanntesten ist sicher Rick Altzi, der bereits Alben von At Vance, Thunderstone und Masterplan veredelt hat und somit eigentlich eher in metallischeren Gefilden zuhause ist. Seine voluminöse und powervolle Stimme passt jedoch auch hervorragend zu etwas gemäßigteren Songs, was er nicht nur bei seinem erst vor ein paar Monaten erschienenem Soloalbum, sondern auch bei GATHERING OF KINGS unter Beweis stellt. Diese boten einen Querschnitt aus allen Alben, hatten trotz der gerade für solch eine Bigband kleinen Bühne einen ordentlichen Aktionsradius, ließen auch immer wieder mal die Matte kreisen und zeigten, dass sie Bock auf diesen Auftritt hatten. Völlig zurecht wurden sie auch vom Publikum gefeiert und zählten nicht nur für mich zu einem der Highlights des Festivals.

Für WIG WAM habe ich Umbaupause und Soundcheck, der übrigens bemerkenswert schnell „über die Bühne ging“ (nie passte diese Floskel besser), genutzt, um mir einen Platz vor selbiger zu sichern, zählt die Band doch vom ersten Album an zu meinen persönlichen Faves. Ihr gutgelaunter, melodiöser und mit ordentlich Schmackes abgefeuerter Hardrock wirkt zwar wie eine augenzwinkernde Parodie auf die quietschbunte Hairmetal-Ära, wozu insbesondere Frontman und geborene Rampensau Åge Sten Nilsen mit entsprechendem Bühnenoutfit und Gebaren beiträgt, macht aber beste Laune und ist pures Entertainment. Auch Guitarrero Trond Holter ist ein wahrer Meister seines Fachs und spielte trotz gelegentlichem Shredderns immer songdienlich. Bei der Auswahl ihrer Songs ließen WIG WAM keines ihrer bis dato fünf Alben aus und lieferten somit einen repräsentativen Überblick über ihr bisheriges Schaffen, das vor festbeißenden Hooklines nur so strotzt. Ihren bekanntesten Song ‚In My Dreams‘ vom Debutalbum, mit dem sie 2005 beim Eurovision Song Contest einen respektablen neunten Platz für Norwegen erreichten, hob sich die Band für den Schluss auf und brachte die Markthalle zum Kochen. Klasse!

Nach diesem Abriss dürfte es für Mastermind RONNIE ATKINS schwer werden, die Stimmung zu toppen, zumal sicher jeder im Publikum von seiner Erkrankung wusste und etwas Schwere in der Luft lag. Aber gerade deswegen gab es wohl niemandem im Publikum, der dem durch und durch sympathischen Frontman der Dänen PRETTY MAIDS nicht sämtliche Daumen hinsichtlich seiner Krankheit gedrückt und viel Empathie entgegengebracht hat. Schwerpunkt des Gigs waren natürlich die Songs seiner zuletzt mit bemerkenswert kurzen Abständen erschienenen Solowerke, auf denen mir persönlich zwar etwas Biss und der charakteristische Wechsel von cleanem und rauem Gesang – die ganz besondere Stärke des RONNIE ATKINS zu PRETTY MAIDS – Zeiten – fehlt, die aber sehr gut zu einem Festival mit AOR-lastiger Bandriege passten. Selbstverständlich wurde der Auftritt mit Songs der Pretty Maids in Form von ‘Future World’ – dem wohl schwermetallischsten und temporeichsten Song des gesamten Festivals, der dem kämpfenden Frontman dementsprechend einiges abverlangte – und ‘Little Drops Of Heaven’ abgeschlossen, was noch einmal euphorische Reaktionen beim Publikum erzeugte. Well done, Mr. Atkins!

Nicht nur ich habe gezweifelt, ob sich LEE AARON als würdiger Headliner erweisen und das Hamburger Publikum nach drei Festivaltagen und zu später Stunde nochmal aus der Reserve locken lassen würde. Sie war dort ja gleich in mehrfacher Hinsicht ein Exot: einzige Lady, einziger nichteuropäischer Act, älteste Musikerin, wenn ich mich nicht irre, und zudem eine Interpretin, die nach ihren Erfolgen in den Achtzigern lange Zeit als Jazz-Sängerin unterwegs war und einen völlig anderen musikalischen Weg eingeschlagen hatte. Die Zweifel waren unberechtigt: trotz inzwischen 60 Lenzen – optisch und stimmlich in Topform – konnte sie das anfangs noch zurückhaltende Publikum immer mehr für sich gewinnen und zu guter Letzt aus der Hand fressen lassen. Alles wirkte wie locker aus der schlanken Hüfte geschossen, und die Show war dramaturgisch gut aufgebaut. Zwischendurch zeigte sich Karen Lynn Greening, die mit 15 Jahren zur Band LEE AARON stieß und später den Bandnamen als ihren eigenen Künstlernamen adoptierte, immer wieder in Plauderlaune und erwähnte nebenbei, dass dies bereits ihr vierter Gig in der Markthalle ist und der erste als Support für keine geringeren als BON JOVI war. Songs ihrer Jazz-Periode ersparte sie uns zwar, bewies aber mit dem ‚Diamond Baby Blues‘ den Mut, dem erwartbaren Musikgeschmack ihres Publikums etwas entgegenzusetzen. Höhepunkt war natürlich ‘Metal Queen’ aus dem Beginn ihrer Karriere, als sie noch als Postergirl aufgebaut wurde. Mit dem deutlich AOR-lastigeren und selbstbetitelten Album ‘Lee Aaron” schlug sie 1987 eine seriösere und gemäßigtere Richtung ein. Zu meinem Leidwesen wurde ausgerechnet mein Favorit ‘Powerline’ von eben jenem Album lediglich zu einem Medley mit ‘Lady Of The Darkest Night’ verkürzt. Schade, denn beide Songs wären es wert gewesen, in voller Länge gespielt zu werden, aber das ist nur eine kleine Randnotiz und Meckern auf höchstem Niveau. Trotz der fortgeschrittenen Stunde und drei Festivaltagen im Nacken gaben Band wie Publikum noch einmal alles und bestätigten trotz der angesprochenen Zweifel die Idee des Veranstalters, das Indoor Summer Festival 2022 mit LEE AARON zu beenden.

Fazit: Insgesamt ein perfekt organisiertes Festival mit tollen, teils grandiosen Bands in einer tollen Location. Obwohl bereits vor einigen Wochen der Ausverkauf gemeldet wurde, gab es überall genügend Platz und kaum lange Schlangen an den verschiedenen Tresen oder am Imbissstand. Auch die Stagecrew leistete einen tollen Job, denn trotz nur einer vorhandenen Bühne waren die Pausen zwischen den Bands für Umbau und Soundcheck bemerkenswert kurz. Daher ein großes Kompliment ebenso an den Veranstalter wie auch an das völlig entspannte Publikum, dass sich auch zu den äußeren Umständen durchweg begeistert zeigte. Dies mag damit zusammenhängen, dass dessen Durchschnittsalter “um die fuffzig” war und die Hörner bereits vor vielen Jahren abgestoßen wurden. Mit maßvollem Alkoholkonsum lässt sich ein solches Festival halt besser genießen und wertvolle Erinnerungen daran intensiver im Schädel konservieren. Auch der ein oder andere Musiker ließ es sich nicht nehmen, sich unters Publikum zu mischen, um die Gigs anderer Bands aus der Zuschauerperspektive mitzunehmen und nebenbei für Fotos zur Verfügung zu stehen oder sich auf Gespräche einzulassen – auch solche Begegnungen lassen ein Festival zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Für mich war das INDOOR SUMMER FESTIVAL 2022 ein solches, und ich hoffe sehr, dass ich nächstes Jahr wieder dabei sein kann.

– Ulle –