Der Musicclub Beavers hat sich am neuen Standort in Erlenbach inzwischen als hervorragende Konzert-Location etabliert. Letzte Woche bei Abba-Explosion war die Hütte richtig gut gefüllt. An diesem Freitag ist der Zuspruch deutlich geringer, was man schon daran sieht, dass Tische und Stühle noch im Innenraum stehen.
Pünktlich um 20.30 Uhr legen die Frankfurter JOURNEYE fulminant mit ‘Only The Young’ los. Arno Menses, den einige von SUBSIGNAL kennen dürften, mag stimmlich definitiv kein zweiter Steve Perry sein, passt aber mit seiner klaren und vollen Stimme perfekt zur Musik von JOURNEY. Was dann zum Original noch fehlen mag, wird von dem Backgroundgesang, allen voran von Ivana Marijan, ausgeglichen. An der Stelle frage ich mich immer, wie sich JOURNEY entwickelt hätte, wenn man nicht immer auf einen stimmlichen Klon von Steve Perry gesetzt und stattdessen mit einer deutlich anderen Stimme wie z.B. der von Jeff-Scott Soto weitergemacht hätte. Dass die Musik von JOURNEY auch mit einer anderen Stimme funktionieren kann, beweisen JOURNEYE auf jeden Fall eindrucksvoll.
‘Rubicon’ ist dann eher ein atmosphärischer Groover, der bei perfektem Sound ordentlich knallt. Gitarrist René Orfanidis soliert sich eigentlich bei jedem Lied kräftig einen ab und hat so ziemlich jede Rockstarpose der letzten 40 Jahre perfekt drauf. Es ist eine wahre Freude, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Beim Hören der Studioplatten ist mir nie so richtig aufgefallen, welchen großen Stellenwert die Soli bei JOURNEY haben, aber heute wird das schnell offensichtlich.
Schon an dritter Stelle wird der meiner Meinung nach beste AOR-Song aller Zeiten gebracht: ‘Separate Ways’! Leider ist das Publikum im ersten Set etwas hüftsteif und die Reaktionen werden dieser Perle nicht wirklich gerecht. Zwischen der ersten Reihe und der Bühne bildet sich von Anfang an ein Sicherheitsabstand, der recht lange beibehalten wird.
Mit ‘Stone In Love’ geht es zeitlich zurück zu Escape, dem bis heute erfolgreichsten Album von JOURNEY, bevor eher überraschend der Opener ‘Girl Can’t Help It’ von Raised On Radio auf dem Programm steht.
Leider kann auch das überragende ‘Ask The Lonely’ das Publikum noch nicht aus der Reserve locken. Ob es am etwas gehobeneren Altersdurchschnitt oder am hohen Frauenanteil, der vielleicht überwiegend auf die Balladen wartet, liegt? Keine Ahnung. Auch ‘Suzanne’ von Raised On Radio scheint ein Großteil der Anwesenden eher nicht zu kennen.
Der Niederländer Arne Menses hat trotzdem seinen Spaß und scherzt sowohl mit seinen Bandkollegen als auch mit dem Publikum. An der Stelle darf natürlich auch ein Seitenhieb auf das Abschneiden der deutschen Fußballnationalmannschaft in Katar nicht fehlen. ‘Edge Of The Blade’ kündigt er als einen Heavy-Metal-Song an und näher waren JOURNEY in ihrer langen Karriere auch selten am Metal, Ich liebe das Lied und singe mir die Seele aus dem Leib. Gerade bei so einem Brecher kann der Gitarrist René richtig glänzen.
Inzwischen hat sich das Beavers auch mehr gefüllt und bei den Balladen ‘Patiently’ und ‘Open Arms’ geht die Stimmungskurve steil nach oben, denn die ersten Damen wagen sich zum Tanzen vor die Bühne.
‘Dead Or Alive’ von Escape beschließt dann die erste Hälfte des Auftritts und entlässt uns in eine kurze Pause.Mit ‘Where Were You’ von Departure wird ein passender Einstieg in den zweiten Set gewählt und auch das Publikum wirkt plötzlich wie ausgewechselt und geht richtig gut mit, was auch bei ‘Line Of Fire’ so bleibt.
Gesteigert wird das noch bei ‘Who’s Crying Now’. Das Eis scheint jetzt endgültig gebrochen und das Publikum ist außer Rand und Band. ‘After The Fall’ und ‘Escape’ können dann nicht ganz mithalten, aber spätestens bei ‘Lights’ ist wieder die Hölle los. Auch ‘Still They Ride’ kommt bestens an, während der Titelsong von Raised On Radio nicht ganz so stark ist. Da wäre ‘Be Good To Yourself’ bestimmt die bessere Wahl gewesen. Beim anschließenden Schlagzeugsolo zeigt Florian Diedrich gekonnt seine handwerklichen Fähigkeiten.
Der Klassiker ‘Wheel In The Sky’ ruft die bisher besten Publikumsreaktionen hervor, das ganze Beavers singt voller Begeisterung mit. ‘Lovin‘ Touchin‘ Squeezin‘ finde ich auf Platte nicht so großartig, aber auf der Bühne entfaltet das Lied besonders gegen Ende hin mit seinem „Na na na na na na“-Teil seinen ganz eigenen Reiz. Die Zuschauer gehen natürlich wieder voll mit.
Dass ‘Don’t Stop Believin’‘ mit seinen über 1,4 Milliarden Aufrufen bei Spotify das mit Abstand bekannteste Lied der Band ist, merkt kam von der ersten Sekunde an. War die Stimmung schon vorher gut, herrscht jetzt Euphorie pur! Und ‘Anyway You Want It’ kann das Level dann halten.
Zum Abschluss bekomme ich dann doch noch „Be Good To Yourself“ geboten, das prima abräumt.
Natürlich wird die Band mit reichlich Zugabe-Rufen zurück auf die Bühne geholt. ‘Keep On Running’ wird ordentlich abgefeiert, aber das abschließende ‘Faithfully’ ist dann der Überflieger. Minutenlang hallen die “Whoa-oh, oh-oh”-Chöre durch das Beavers und man merkt, dass auch die Band reichlich gerührt ob dieser Publikumsreaktionen ist. Einen besseren Abschluss hätte man für diesen Auftritt kaum finden können.
Ein sehr gelungenes Konzert. Meine Lieblingsphase der Band (Frontiers und die Soundtrack-Beiträge aus der Zeit) wurde reichlich bedacht, wobei die Zuschauer offensichtlich mit der Phase 1978-1981 deutlich besser vertraut waren. Wäre interessant zu wissen, wie hoch der Anteil der Besucher heute ist, der weiß, dass Journey 2022 ein neues Album herausgebracht haben. Wenigstens „The Way We Used To Be“ hätte bestimmt prima in den Abend gepasst. Aus meiner persönlichen Sicht hätte der Auftritt gerne 30 Minuten länger gehen können. Und das hätte man dann mit einigen Highlights der letzten 30 Jahre auffüllen können.