174. GTR – s/t

88

Platz
174
Punkte
353
Erscheinungsjahr
1986
Tracklist
1. When The Heart Rules The Mind (5:28)
2. The Hunter (4:58)
3. Here I Wait (4:57)
4. Sketches In The Sun (2:33)
5. Jekyll And Hyde (4:45)
6. You Can Still Get Through (4:58)
7. Reach Out (Never Say No) (4:06)
8. Toe The Line (4:30)
9. Hackett To Bits (2:10)
10. Imagining (5:54)
Line-UP
Max Bacon / lead vocals
Steve Hackett / acoustic (10) & electric guitars, synthesizer, backing vocals
Steve Howe / guitar, synthesizer, bass (7), backing vocals
Phil Spalding / bass, backing vocals
Jonathan Mover / drums, percussion
Unsere Wertung
88
Die Beschreibung „Supergroup“ wird ja recht schnell genommen, aber wenn die beiden Gitarrengroßmeister Steve Hackett (ex-GENESIS) und Steve Howe (ex-YES, ex-ASIA) gemeinsame Sachen machen, passt die Beschreibung tatsächlich. Dazu gesellen sich noch Schlagzeuger Jonathan Mover (ex-MARILLION), der als Studiomusiker bekannte Phil Spalding am Bass und der bis dahin nicht großartig in Erscheinung getretene Sänger Max Bacon. Vom Papier her sollte man jetzt eigentlich mit einem Prog-Meisterwerk rechnen, aber dann wäre das Album ja nicht in unserer Liste gelandet. Stattdessen bekommen wir eingängigen AOR präsentiert, der musikalisch auf höchstem Niveau umgesetzt ist. Als Produzenten konnte man mit Geoff Downes einen ehemaligen Kollegen aus Asia- und Yes-Zeiten gewinnen. Die Wahl ist dahingehend etwas kurios, weil Howe unter anderem wegen der extremen Keyboardlastigkeit des Asia-Sounds die Band verlassen hatte und jetzt ist der Asia-Keyboarder für den GTR-Sound zuständig. Entsprechend ist der Klang richtig 80er-Jahre-mäßig ausgefallen: sehr höhenlastig, viel Hall auf den Drums, aber gelungen transparent mit viel Raum für alle Instrumente. Da die Band nach der englischen Abkürzung für Guitar benannt ist, verzichtet man konsequenterweise komplett auf Keyboards und nutzt stattdessen Gitarrensynthesizer. Dummerweise stellt man dann fest, dass man den Bandsound auf der Bühne so überhaupt nicht umsetzen kann und muss für die Tour zum Album einen Keyboarder engagieren.

Das Album selbst ist ein kleiner Erfolg in den USA: Platz 11 der LP-Charts inklusive Goldauszeichnung – die Single ‚When The Heart Rules The Mind‘ kann bis auf Platz 14 der Single-Charts einsteigen. Mit der zweiten Single ‚The Hunter‘ kommt man über Rang 85 nicht hinaus.

Und wie klingt die Band überhaupt? Grob umrissen sollte jeder Fan des ASIA-Debüts und YES‘ „90125“ mit GTR etwas anfangen können. GENESIS höre ich da beim besten Willen nicht heraus.

Die Hitsingle ‘When The Heart Rules The Mind’ eröffnet das Album. Perfekter 80er Stadion-Rocker mit pompös-eingängigem Chorus. Die Strophen sind hingegen deutlich zurückhaltender instrumentiert, während im Break die Chorgesänge fast schon ASIA-mäßig aufgezogen sind. Gleich hier zeigt sich mein Hauptproblem mit der Band: am Gesang von Max Bacon scheiden sich wirklich die Geister. Mir gibt sein dünnes hohes Stimmchen einfach zu wenig.

Die zweite Single ‚The Hunter‘ schließt sich direkt an, eine Geoff Downes-Komposition, die logischerweise auch bei dessen Band gut funktioniert. Wer sich das Lied mit tollem Gesang anhören will, kann es mal mit der Version mit John Payne am Gesang auf ASIAs Anthologia probieren. Aber auch die GTR-Version ist ein echter Ohrwurm und lebt von seiner Dynamik zwischen ruhigen Strophen und explosivem Chorus.

‚Here I Wait‘ ist dann deutlich rifflastiger, mit leider etwas langweiligerem Refrain. Instrumental ist alles top gespielt und der sirenenhafte Teil lädt zum Träumen ein. Das kurze Instrumental ‚Sketches In The Sun‘ ist eine Howe-Fingerübung und könnte problemlos auf einem YES-Album stehen. Aber mehr als ein Zwischenspiel ist das nicht wirklich. Mit ‚Jekyll And Hyde‘ geht es zu Beginn heftiger weiter, bis plötzlich die Synthesizer übernehmen und in der Strophe wieder ein Gang zurück geschaltet wird. Leider ist auch hier der Chorus kein richtiger Volltreffer, dafür blitzt instrumental die Prog-Vergangenheit besonders im Soloteil mal richtig auf. Wenn die Melodie prägnanter wäre, hätte es zu einem Albumhighlight gereicht.

Bei ‚You Can Still Get Through‘ wird dann auf Groove wert gelegt, während im Chorus Eingängigkeit angesagt ist. Rhythmisch definitiv eine recht vertrackte Nummer, die immer wieder den Weg zurück zum luftigen Refrain findet. Coole Mischung aus massenkompatiblem AOR und musikalischem Anspruch. ‚Reach Out‘ beginnt wie ein Überbleibsel einer ASIA-Studiosession, bis Max Bacon’s Stimme ertönt. Insgesamt jedoch deutlich rifflastiger als die Lieder vorher, dafür ist der Chorus wieder nicht der Überflieger. Rund um das Solo schwenkt das Lied Richtung Prog, leider mit einem überflüssigen Fade Out viel zu früh abgewürgt.

Die Ballade ‚Toe The Line‘ ist leider kompositorisch eher Durchschnittsware, da gab es Mitte der 80er definitiv Besseres, bei dem es einem warm ums Herz wurde. Beim nachfolgenden Instrumental ‚Hackett To Bits‘ darf sich logischerweise der andere Steve austoben. Um einiges songdienlicher als das andere Instrumental ist aber auch das Lied nur ein kurzes Zwischenspiel. Beim abschließenden ‚Imagining‘ hätte man sich das lange Intro mit der klassischen Gitarre gerne schenken können, um schneller auf den Punkt zu kommen. Erneut kommt hier wieder die Vorliebe der Band für eher ruhige Strophen mit bombastischem Refrain und vertracktem Instrumentalteil zum Vorschein. Ein weiterer Volltreffer und recht nahe am Prog.

Für reinrassige AOR-Fans dürfte es bei einigen Liedern abseits der Single-Hits doch etwas zu frickelig zugehen, während es reinrassigen Prog-Fans viel zu eingängig ist. Womit ich wieder bei meiner eingangs erwähnten Zielgruppe (Fans von 90125 von YES und ASIA oder KANSAS in den 80ern) angekommen bin, denen das Album gut reinlaufen sollte. Es ist zwar nicht jeder Chorus ein Volltreffer wie beim Opener, aber musikalisch ist alles von höchster Güte. Max Bacon hat sicher auch seine Fans, ich gehöre nicht unbedingt dazu. Insgesamt ein spannendes Album mit einigen Highlights an der Schnittstelle zwischen AOR und Prog-„Light“, das vor allem von der musikalischen Kompetenz der beiden Gitarristen lebt.

Die Arbeit zu einem zweiten Album wurde anschließend noch aufgenommen und es kursiert sogar ein Bootleg mit den Demos der Aufnahmen, das mir aber nicht bekannt ist. Leider ist die Band dann an den Egos der beiden Steves und besonders an Businessstreitigkeiten zwischen Hackett und dem Management zerbrochen. Ein Teil der Songs ist dann auf dem ersten Solo-Album von Max Bacon gelandet und kann in meinen Augen den Liedern des Debüts nicht das Wasser reichen. Auch beim Debüt des YES-Ablegers ANDERSON/BRUFORD/WAKEMAN/HOWE sind Teile des zweiten Albums gelandet, z.B. basiert ‚Birthright‘ auf einer GTR-Komposition.

Die drei Bonustracks sind nicht wirklich essentiell. Ganz anders sieht es mit der Bonus-CD aus, auf der man den King Biscuit Flower Hour Mitschnitt eines Konzertes in Los Angeles zu hören bekommt. Enthalten sind außer der Ballade ‚Toe The Line‘ alle Lieder des Studioalbums, mit ‚Pennants‘ (Howe) und ‚Spectral Mornings‘ (Hackett) zwei Lieder aus den Soloalben der beiden Steves sowie ‚I Know What I Like‘ (GENESIS) und ‚Roundabout‘ (YES). Abgerundet durch das neue ‚Prizefighters‘, das für das nie veröffentlichte zweite Album vorgesehen war. Sehr getragen und beim Chorus ist mal wieder Luft nach oben. Der Sound ist natürlich deutlich roher, besonders die Drums klingen nicht mehr so steril. Viele Lieder wurden instrumental ausgedehnt, was den Kompositionen richtig gut zu Gesicht steht.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich mit der Bonus-CD inzwischen mehr Spaß, als mit den Studioversionen.