Die Geschichte von HOUSE OF LORDS (HOL) fängt nicht 1988 (Erscheinungsdatum des ersten HOL-Albums) an, sondern bereits 1975, mit der Gründung der Kultband ANGEL.
Durch die Optik und Outfit stellten Angel einen gewissen Gegenpol zu den Label -„Mates“ KISS dar. ANGEL überzeugten mit dem überwiegend überdurchschnittlichen Songwriting (die ANGEL-Songs ‚Tower‘ ‚Fortune‘, ‚Long Time‘, ‚Dr. Ice‘ sollten jedem Rockfan ein Begriff sein) auch auf Albumlänge sowie dem absolut eigenständigen Sound (grobe Indikation: Progressive / Pomp- Glam, stellenweise sogar Proto-Metal). Neben dem tollen Gitarrenspiel von Punky Meadows (unüberhörbares Vorbild: Jeff Beck) stach insbesondere der absolut eigenständige Keyboad-Sound des damals noch jungen Gregg Giuffria hervor. Gregg Giuffria ist in meinen Augen quasi Randy Rhoads des AOR – Optik, klassische Ausbildung, ein starker Songwriter (bei ANGEL und den Nachfolgeprojekten), exzellenter, dennoch stets songorientierter, pointierter Instrumentalist. Der Vergleich mit Kerry Minnear (GENTLE GIANT) / Tony Banks (GENESIS) in an der Stelle nicht verkehrt.
Nach den vier Alben im klassischen ANGEL-Stil, einem weiteren, stark unterschätzen AOR-Album (‚Sinful‘) und dem Live-Opus ‚Live Without a Net‘ war 1980 leider vorläufig Schluss (vor allem mangels Support auf Grund der Insolvenz des Labels Casablanca).
Den Neustart wagte Giuffria anno 1984 mit dem neuen, gleichnamigen Projekt respektive eines zeitgemäßen Sounds. Die beiden GIUFFRIA-Alben (Giuffria und Silk and Steel) gehören auch noch heute zum Besten, was AOR (mit Pomp-Appeal) hervorgebracht hat. Mit zwei Klassikern im Haben und überzeugenden Live-Auftritten stellte sich der Erfolg, insbesondere in Japan, ein. Während der Aufnahmen zum dritten GIUFFRIA-Album tauschte man den Vokalisten David Glen Eisley (markante und starke Röhre!) gegen James Christian auf Druck des neuen Managements (Gene $immons) aus. Die zweite Veränderung war die Umbenennung von GIUFFRIA in HOUSE OF LORDS – ausschlaggebend war die Idee einer vollwertigen Band (in dem Falle: Supergroup), wo jedes Mitglied am Songwriting beteiligt ist.
Das Songmaterial des HOL-Debüts wurde zur Hälfte vom alten Line-Up (meist Giuffria / Eisley) geschrieben, zur anderen Hälfte vom neuen (alle Bandmitglieder waren am Songwriting beteiligt), trotzdem wirkt das Album (bis auf eine Ausnahme) wie aus einem Guss. Das Album ist außerdem eine logische Fortsetzung der GIUFFRIA-Alben, hat aber mit ANGEL eine gesunde Härte und die Nähe zum Classic Rock gemeinsam.
Die Stärke von HOL liegt eindeutig im intensiven, druckvollen, und zugleich hochmelodischen AOR mit packenden Melodien und starken Vokals – AOR in Perfektion: ‚I Wanna Be Loved‘ (externer Beitrag von Meyer / Johnstad), ‚Edge Of Your Life‘, ‚Jealous Heart‘, ‚Pleasure Palace‘ (mit seinem stimmungsvollen Pomp-Intro – eine Brücke zur ANGEL-Vergangenheit wird geschlagen), ‚Hearts of The World‘ und die Coverversion ‚Love Don’t Lie‘ (besser als das Original von STAN BUSH). Das Album ist zwar keyboardorientiert, dennoch knackig genug, vor allem die Gitarrenarbeit ist beachtenswert – Lanny Cordola erweist sich an der Sechssaitigen abermals als Meister seines Fachs. Die Songs sind durchgehend exzellent, lediglich die bereits angedeutete ‚Slip Of The Tongue‘ fällt aus dem Rahmen ab – der rock’n’rollige Uptempo-Touch repräsentiert aus meiner Sicht nicht die wahren Stärken der Band. Die Produktion vom Soundmeister Andy Jones (Beispiel: Echo Drum-Sound von Ken Mary) ist zwar 80er-like (übrigens wie das stilvolle Artwork), passt aber zu optimal Musik und auch heute gut hörbar.
Nach zwei weiteren AOR-Meisterwerken – Sahara und Demons Down war erstmal Schluss, bevor es 2004 wieder losging. Vom ursprüngliche Line-Up ist heute nur James Christian dabei, der das Erbe von HOL mit viel Respekt bewahrt und weiter entwickelt. Die Qualität der HOL-Alben ist seit 2004 stets (sehr) gut bis exzellent, insbesondere sei das Spätmeisterwerk ‚Come To My Kingdom‘ einem ans Herz gelegt. Heute wie 1988 sind HOL für mich eine tolle, skandalfreie und unglaublich sympatische Band mit herausragenden Songs.
Tipp: Das 2001 von Glen David Eisley veröffentliche Album The Lost Tapes – das ist das erwähnte ‚verschollene‘ dritte GIUFFRIA-Album bzw. einige der Songs des HOL-Debüts in ihren ursprünglichen, ‚ungebügelten‘ Versionen (‚Pleasure Palace‘). Auch die anderen Juwelen wie ‚Stand Up‘ glänzen. Unbedingt antesten!
Unbedingt sollte das Debüt der Band WHITE SISTER (1984) ebenfalls angetestet werden. Der zeitlose AOR-Klassiker schlägt in den gleiche Kerbe wie das HOL-Debüt, nicht zuletzt auf Grund der Produktion und Arrangements (besonders erkennbar: Arrangements inkl. dem Keyboardsolo von ‚Promises‘) von Gregg Giuffria.