Kommerzielle Beweggründe, die vor mehr als zehn Jahren zur Bandgründung geführt haben könnten, sind wohl auszuschließen: die einzigen mir bekannten Blaupausen für den speziellen Sound von THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA sind KISS mit ‚I Was Made For Loving You‘ und entfernt auch ein paar Songs der ROLLING STONES. Die hatten aber allesamt bei Bandgründung bereits vier Dekaden auf dem Buckel und waren alles andere als Highlights in deren musikalischen Schaffen. Folgerichtig hat es die Coverversion von ‚Just Another Night‘ von MICK JAGGER’s Soloalbum She´s The Boss auch nur als Bonustrack auf das Album geschafft.
Mitnichten somit eine erfolgversprechende Idee, Classic Rock und AOR der 70er und 80er zunehmend mit Discosound anzureichern – trotzdem hat es die Band aus dem schwedischen Helsingborg in nur zehn Jahren auf mittlerweile bereits sechs Alben gebracht. Dieses Durchhaltevermögen dürfte sich nach dem zunächst nur bescheidenen Erfolg der ersten beiden Alben Internal Affairs (2012) und Skyline Whispers (2015) inzwischen bezahlt gemacht haben. So gesehen könnte die These, dass das dritte Album für eine Band ein „make it or break it“ bedeutet, sich auch für THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA bewahrheiten, denn erstmals waren mit dem 2017 erschienenen Amber Galactic Chartplatzierungen im deutschsprachigen Raum zu verzeichnen. Mit den nachfolgenden Alben Sometimes The World Ain´t Enough (2018), Aeromantic (2020 – hört Euch als Appetizer ‚Transmissions‘ an – ein Refrain zum Niederknien) und Aeromantic II (2021) konnte dieser Erfolg sogar noch übertroffen werden.
Ein Grund für den sich einstellenden kommerziellen Erfolg von Amber Galactic mag auch der reduzierte Prog-Anteil sein, der bei den beiden ersten Alben noch ausgeprägter war und auf Amber Galactic deutlich zu Gunsten kompakterer, hochmelodischer und schneller auf den Punkt kommender AOR-Ohrwürmer wie ‚Something Mysterious‘, ‚Josephine‘ oder ‚Jennie‘ (mein persönliches Album-Highlight) gewichen ist. Allenfalls der fast siebeneinhalb-minütige Album-Closer ‚Saturn In Velvet` erinnert noch an komplexere Anfangstage, fällt qualitativ aber kaum ab. ‚Gemini‘ und ‚Domino‘ hätten auch während der Disco-Ära in den späteren 70ern für volle Tanzflächen gesorgt, wobei THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA jedoch den Spagat zwischen Rhythmus und Melodie bravourös meistern und stets als bodenständige Rockband erkennbar bleiben. Dafür sorgt vor allem Sänger Björn Strid, der bereits beim fulminanten und mit perlenden Keyboards veredelten Opener ‚Midnight Flyer‘ ordentlich Druck in der Röhre entwickelt und nur ganz selten die Kopfstimme nutzt. Dafür singt er aber umso häufiger mit rauem Timbre und sorgt damit nicht nur für einen hohen Wiedererkennungswert seiner Band, sondern auch für eine angenehme Portion rockigen Drecks in der schnieken Disco-Glitzerwelt.
Nicht außer Acht gelassen werden soll hier auch der Anteil von Strids‘ Bandkollegen am speziellen Sound. Musik, die auch in die Beine gehen soll, braucht bekanntermaßen zuerst eine fähige und tighte Rhythm-Section. Diese ist mit Basser Sharlee D’Angelo (u.a. MERCYFUL FATE, SPITITUAL BEGGARS, ARCH ENEMY) und dem zuvor noch nicht besonders in Erscheiung getretenen Drummer Jonas Källsbäck hervorragend besetzt. Insbesondere Letzterer sorgt mit der discotypisch tonangebenden Snare für die besonderen Akzente, die THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA aus der großen Masse skandinavischer Rockacts deutlich herausstechen lassen. Gitarrist David Andersson (hauptberuflich interessanterweise Arzt in der Gastroenterologie und nebenbei auch noch bei den Powermetallern MEAN STREAK aktiv – für den Mann scheinen die Gesetze von Raum und Zeit nicht zu gelten) muss sich bei einigen Songs merklich zurückhalten, besticht dafür aber in seinen Soli mit viel Feeling und technischer, aber immer auch songdienlicher Finesse. Keyboarder Richard Larsson (seit 2020 durch Session-Keyboarder John Lönnmyr ersetzt) feuert häufig passende Arpeggios ab. Durch diese nicht gleichzeitig als lückenfüllender Soundteppich, sondern nacheinander gespielte Noten eines Akkordes, trägt er zum speziellen Sound der Band bei, bleibt ansonsten aber angenehm unaufdringlich im Hintergrund.
Auch in Sachen Artwork haben sich THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA inzwischen gefunden: seit Amber Galactic wird das Cover stets vom gleichen Bandlogo sowie einer Lady in Fliegerei-affinen Klamotten geziert. Ein Umstand, der den durch und durch runden und stimmigen Gesamteindruck der Band und ihrer Werke noch unterstreicht. Dass die nachfolgenden Alben bei mir nicht mehr ganz die Begeisterung entfacht haben, mag meinen Hörgewohnheiten geschuldet sein: nach gewisser Zeit nutzt sich der spezielle Sound für meine Lauschlappen doch etwas ab, und es fehlten zuletzt vielleicht auch ein paar neue Impulse und Überraschungen. Das abwechslungsreiche Amber Galactic dreht sich jedoch immer wieder mal in meinem Player, weshalb das Album bei mir inklusive kleiner Boni für Eigenständigkeit und Artwork satte 90 Punkte einfährt.