ROMEO’S DAUGHTER – Slipstream

Label
RD Records
Erscheinungsdatum
31.08.23
Tracklist
1. Over You 3:56
2. Everything 3:32
3. How Does It Feel 3:41
4. Inseparable 4:42
5. Rumour 3:46
6. Thinkin' About You 3:55
7. Time Of Your Life 4:45
8. Good Man Gone Bad 4:09
9. I'll Make A Man Out Of You 3:54
10. Fake 4:11
Line-Up
Leigh Matty - lead vocals
Craig Joiner - guitar
Stephen Drennan - bass
Andy Wells – drums
Unsere Wertung
85
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„Female fronted Bands“ sind heutzutage beileibe keine Seltenheit, tummeln sich aber häufiger in noch relativ jungen Genres wie Symphonic- oder auch Gothic Metal. Auch im Death Metal wird gerne mal östrogenhaltig gegrunzt, wobei es hinsichtlich der Stimmfarbe „aus Gründen“ völlig unerheblich ist, ob deren Urheber nun Uterus oder Klöten trägt. Im männerdominierten Rockbiz der 80er, in denen auch ROMEO´S DAUGHTER das Licht der Welt erblickten, hatten Bands mit Frontladies noch einen ungleich höheren Exotenstatus. Rein optisch sorgten musizierende Puderquasten wie POISON & Co für androgyn fließende Grenzen zwischen den Geschlechtern, aber tatsächlich feminine Stimmen hatten noch Seltenheitswert.

WARLOCK mit Doro Pesch werden in diesem Zusammenhang häufig zuerst genannt, waren jedoch eher metallisch unterwegs. Die Vorreiter im Hardrock waren natürlich THE RUNAWAYS und im AOR vor allem HEART, die beide bereits seit Mitte der Siebziger aktiv waren und den Weg ebneten für Solo-Künstlerinnen wie LEE AARON, LISA PRICE oder FIONA FLANAGAN und Bands wie FEMME FATALE, LAOS, ENVY oder eben auch ROMEO´S DAUGHTER, die sogar als britische Antwort auf HEART (diese erlebten in den Mitachtzigern gerade mit Welthits wie `Alone´ oder `What About Love´ ihren zweiten Frühling) hoch gehandelt wurden. Zurecht?

Durchaus! Wenn eine Produzenten-Koryphäe wie Robert John „Mutt“ Lange durch ein Demotape so begeistert ist, dass er bereitwillig das Debüt von ROMEO´S DAUGHTER unter seine Fittiche nimmt, muss schon viel Qualität vorhanden sein. Leider hat sich der Durchbruch nicht in gewünschtem Maße eingestellt, so dass es fünf Jahre dauerte, ehe 1993 mit Delectable das nächste Album veröffentlicht wurde. Wieder gelang allenfalls ein Achtungserfolg, sodass sich die Band um Frontfrau Leigh Matty schließlich kurz nach Erscheinen des Zweitwerks auflöste. Es dauerte bis 2008 und der Wiederveröffentlichung des Debüts über das auf vergessene Perlen spezialisierte Label „Rock Candy Records“, bis sich die Band schließlich reformierte und wieder Gefallen an der Live-Performance fand.

Im Jahre 2012 erschien nach fast 20 Jahren auch endlich neues Material in Form des Albums Rapture, in dem eine gereifte Band zeigte, dass sie nichts von ihren musikalischen und ihren Songwriting-Qualitäten eingebüßt hat. Zwar besteht zum nächsten, 2015 erschienenen Album Spin das kürzeste Zeitintervall zwischen regulären Alben der Band (zwischenzeitlich erschienen noch zwei Live-Alben), trotzdem wurde hier eine Kurskorrektur hin zu einem etwas düsteren Sound vorgenommen. Nach weiteren acht Jahren erschien 2023 das Album Slipstream, das die Band komplett in Eigenregie und bisher ausschließlich digital über ihre Webseite vertreibt. Aus meiner Sicht schade, denn gerade unter den Fans des gepflegten Stromgitarrensounds gibt es genug Jäger und Sammler, die Slipstream – genau wie ich, soviel schon einmal vorweg – gern als Trophäe des guten Geschmacks im Regal stehen hätten.

„Wohltuend“ beschreibt das Album meiner bescheidenen Meinung nach am besten. Zum einen, weil ROMEO´S DAUGHTER komplett auf derzeit ach so moderne und überladene Effektorgien verzichten und sehr direkt, erdig und entspannt aus meinem Kopfhörer schallen. Zum anderen, weil sich auch die Qualität der Songs in Summe das Prädikat „überdurchschnittlich“ redlich verdienen. Treibende Rocker wie der cool groovende Opener `Over You´, das mit wildem Feedback endende `Inseparable´, `Thinkin About You´ oder mein persönliches Highlight `Fake´ wechseln sich mit eher balladesken Songs wie `Everything´, `How Does It Feel´, `Time Of Your Live´ oder `I´ll Make A Man Out Of You´ ab. Hervorheben möchte ich den Song `Rumor´, der mich besonders gepackt hat. Frontlady Leigh Matty singt hier sehr dezent und scheint einem die eindringlichen Worte direkt ins Ohr zu hauchen. Überhaupt fällt auf, dass sie durchweg entspannt und in ihrer natürlichen Stimmlage unterwegs ist. Das mag unspektakulär sein, klingt für mich aber wohltuend ehrlich und geerdet.

Auch die Instrumentalfraktion leistet ganze Arbeit – allen voran Gitarrist Craig Joiner, der sehr songdienlich fiedelt, bei seinen Soli mehr auf packende Melodien statt auf protziges Shreddern setzt und mir dadurch mehrfach die sagenumwobene Entenpelle beschert. Die mit Stephen Drennan am Bass und Andy Wells an den Drums besetzte Rhythmustruppe versteht es, ordentlich zu grooven, sich bei den Balladen aber auch mal zurückzunehmen und sie dadurch zum Leuchten zu bringen.

Das Album ist insgesamt sehr gitarrenorientiert, denn Keyboards werden lediglich ab und an als sparsame Soundfülle eingesetzt und bleiben meist dezent im Hintergrund. Unter den zehn Songs auf Slipstream ist kein Ausfall, so dass die Skiptaste während der gut 40 Minuten arbeitslos bleibt. Ein kleiner Schönheitsfleck ist für mich lediglich der Sound der Snaredrum, die ein bisschen mehr Fett vertragen könnte. Ansonsten aber alles tutti und mir 85 Bibeln wert. Wer AOR im erdigen Rocksound der frühen Achtziger bevorzugt und mit einem gleichen Anteil aus Rocknummern und Balladen warm werden kann, sollte Slipstream unbedingt eine Chance geben. Ich find´s geil!